Wie fühlt sich eine Depression an?

Heute soll es mal gar nicht ganz allgemein um so ein Thema gehen, sondern darum, wie sich die Depression nur für uns anfühlt.

Depressionen sind aber, so wie ihre Hintergründe, von Person zu Person ganz unterschiedlich.
Beachtet bitte, dass ihr daher hierdurch keine Diagnose stellen könnt.
Manche beschriebene Merkmale können auch durch andere Erkrankungen auftauchen oder sich gegenseitig beeinflussen.
Wenn ihr spürt, dass etwas nicht okay ist und nicht so wie früher, sucht bitte professionelle Hilfe auf.
Es ist egal, ob ihr eine Depression, Burnout o.A. habt. Wenn etwas nicht wie zuvor ist, ist etwas nicht okay und verlangt nach eurer Aufmerksamkeit.

Wenn ihr keinen Therapeuten (schnell) findet, bietet der sozialpsychiatrische Dienst fast überall an, kostenlos einen Psychologen aufzusuchen. Dort könnt ihr (im Normalfall) keine Therapie beginnen, aber sie helfen euch die Zeit zu überbrücken, bis ihr einen guten Therapeuten findet.
Ihr könnt euch zudem jederzeit in eine örtliche, psychiatrische Klinik als Notfall einliefern lassen. Meist bekommt ihr dort innerhalb der nächsten Tage einen Termin. Auch dort ist eine Therapie meist nicht möglich, aber sie können euch helfen, euch zu stabilisieren.
Ansonsten schaut bitte gern auf der Seite der deutschen Depressionshilfe (deutschendepressionshilfe.de) vorbei. Dort findet ihr, sowohl als Betroffener als auch Angehöriger, sehr gute Informationen.

Der „normale“ Zustand

Wir haben schon mal erwähnt, dass wir 2 Jahre erlebten, wo wir von jeglicher Depression befreit waren.
Daher können wir ganz gut eine Unterscheidung treffen, wie sich die Unterschiede für uns anfühlen.

Ich würde sagen, der normale Zustand für uns (aktuell) ist eine leichte depressive Episode, die sich mit einer mittelschweren abwechselt. In manchen Phasen unseres Lebens war die mittelschwere Episode normal (ca. 60%) und die leichte eher sehr selten (10%).

Würde ich eine Prozentangabe für das Heute geben müssen, würde ich, grob geschätzt, sagen: 45% leichte – 35% mittelschwere – 20% schwere.

Im Regelfall ist die Depression bei uns systemübergreifend.

Exkurs: Unterschiedliche Episoden

Ohne Depression:

Damals fühlten wir uns so frei und leicht. Trotz das die Traumata und ihre Auswirkungen natürlich noch vorhanden waren, gab es Momente, wo ich auf dem Bett lag und dachte: „Hey, ich fühle mich gerade einfach glücklich und zufrieden“ .
Genau deshalb bezeichnen wir die Depression als unser, psychisch, schlimmstes Problem.

Natürlich bestanden alle anderen Sorgen noch, aber wir hatten soooo viel Energie und ständig diesen inneren Drang, dass wir jetzt bald mehr machen wollen. Wir liefen den ganzen Tag mit 4-5 Büchern herum, in denen wir abwechselnd lasen und dachten damals noch: „Wenn wir das mal nicht mehr können, dann wird es problematisch“ – Unser Alltag bestand aus Weiterbildung und, Gott, ich kann mich nur wiederholen, soooo viel Energie und auch freier, guter Laune. Wir waren so klar in unserem Kopf. Das kannten wir nie zuvor in unserem Leben.

Leichte Episode:

Als sich dann erstmals die Depression wieder meldete, fühlten wir diese merkwürdige Form von Schwere. Es fiel uns nur langsam auf und wir brauchten einige Monate, um zu begreifen, dass wir uns längst wieder zurück in der Depression befanden.
Irgendwas wurde in unseren Gedanken anders.

Jetzt, wieder zurück in der Dauerdepression, würden wir die leichte Episode noch als den besten Zustand beschreiben.
In dieser Phase sind wir meist fähig zu allem, was der Alltag erfordert.
Wir können Sport treiben, lesen, lustige Abende haben und fühlen uns noch immer Herr über unsere Gedanken.

Aber irgend etwas ist da immer in unserem Inneren. Dieser Schleier der Schwere.
Egal wie schön ein Moment ist, er ist nie wirklich schön. Für einen Moment, aber dann taucht da wieder diese Schwere auf.
In diese Phase können wir aber gut intervenieren und uns auch der Traumaaufarbeitung stellen (das ist in anderen Phasen weniger bis nicht möglich).
Wir fühlen noch immer eine gewisse Leichtigkeit.
Sie ist nicht super, aber besser als nichts.
Das wäre, für uns, niemals eine Phase, wo wir uns fachmännische Hilfe gesucht hätten – Aber nur, weil wir 26 Jahre nie ein Leben ohne diesen Schleier kannten. Er  war Normalität.

Wenn ihr so etwas fühlt, diese Veränderung, bitte redet darüber und versucht euch Hilfe zu suchen.
Die leichte Episode ist der perfekte Moment, um dagegen zu intervenieren. Lasst es nicht schlimmer werden, wenn ihr sowas bemerkt.

Und wenn euch Menschen nicht ernst nehmen: Dann hatten sie diese Erfahrung einfach noch nie oder sind in ihrer Vorstellung sehr eingeschränkt (auch Fachpersonen) – Egal was sie sagen.
Sobald sich eine Schwere über euch legt, signalisiert euch euer Körper/Psyche das etwas nicht mehr in Ordnung ist: DER richtige Moment zu reagieren!

Die mittelschwere Episode:

Viele Jahre unseres Lebens war das unser Normalzustand.
Mit dieser Episode ist es sehr ambivalent.
Oftmals können wir auch da noch Sport treiben (oft aber nur, weil wir wissen, dass uns der Sport vor Schlimmeren bewahrt) und dem Notwendigsten nachgehen. Aber wirklich nur dem Notwendigsten.

In dieser Phase fühlt sich der innere Schleier schon viel schwerer an. Wir verlieren zum Teil unsere Lebenslust und können mit kleineren Schwierigkeiten schon kaum mehr umgehen. Ich bekommen es hin, wenn alles glatt läuft, notwendige Aufgaben zu bewältigen.
Kaum geht aber etwas schief, bspw. habe ich im Zoom-Meeting keinen Ton, breche ich komplett zusammen. Sofort kommen Gedanken, dass ich mein Leben hasse, irgendjemand mich bestraft und hasst und sowieso nie etwas besser wird.
Der Situation natürlich unangemessen, aber alles fühlt sich so anstrengend an. Als läge jede Tätigkeit hinter einem Berg.

Wir können dann auch kaum mehr lesen, zocken oder uns auf anderes länger konzentrieren. Für Fachbücher fehlt die Konzentration so stark, dass wir, wenn, max. nur wenige Seiten schaffen. Leichtere Literatur geht, aber nicht lange. Auf Serien können wir uns auch nicht mehr konzentrieren und wir kommen bereits stark in einen Ablenk-Modus (TikTok ist dann unser Freund).

Die Welt sieht viel pessimistischer aus und unser Zustand wechselt von Hoffnung auf Änderung zu: „Es bringt doch sowieso nichts“ . Auch Su*zidgedanken kommen hier bereits auf, nehmen aber noch keinen konkreten Handlungszwang an. Für uns bietet diese Möglichkeit dann „lediglich“ einen Ausweg. Auch unser Selbstbild wird schlechter, sodass wir viel empfindlicher werden und Dinge eher auf die Goldwaage legen. Wir sind schneller getriggert und erholen uns davon viel langsamer.

Schwere Episode:

Ich fühle den Übergang zwischen der mittleren uns schweren Episode und meist bietet sich uns dann ein sehr schmales Zeitfenster, in dem wir noch ansatzweise intervenieren können. Schaffen wir das, z.B über körperliche Bewegung oder gute Gespräche, dann können wir die schwere Episode möglicherweise abfangen.

Sie ist aber um einiges komplizierter, weil, sobald sie sich ankündigt, sich unsere Gedanken  langsam immer stärker verändern.
Es fühlt sich an, als würden sich dünne, schwarze Fäden von hinten über uns legen und unsere Gedanken langsam übernehmen. So, als würde man stuckweise von einem außerirdischen Wesen übernommen.

Ich weiß, dass das dann nicht mehr meine Gedanken sind. Sie wirken wie meine, aber in meinem tiefesten Inneren weiß ich, dass ich eigentlich anders ticke. Die schwere Episode ist schwierig, weil ich spüre, wie ich mich dann auch nicht mehr dagegen wehren WILL. Ich will diese geistige Übernahme und will sie dennoch nicht.
Ja, wir empfinden sie wie ein fremdes Wesen, dass uns verhext und beginnt zu kontrollieren.

(hier kommt ein Text, den wir einmal in einem Forum veröffentlich haben)
*

Wenn ich in eine schwere Episode rutsche, dann erlischt mein Lebenssinn vollkommen. Ich werde apathisch, fühle mich wie gelähmt und die psychischen Schmerzen werden so stark, dass ich schreien möchte (und es manchmal tue) vor inneren Schmerz.
Ich schaffe es nicht mehr mir Essen zuzubereiten (ich verspüre noch nicht einmal mehr Hunger und esse über Wochen dann nur max. eine kleine Mahlzeit am Tag, die ich mir reinzwängen muss), aufzustehen und die leichtesten Dinge zu tun.
Auch zum Duschen bin nicht mehr fähig und an den Haushalt ist nicht mal im Entferntesten zu denken.

Es fühlt sich an, als hätte ich eine unheimlich schwere Bleijacke an, die mich nach unten zieht und mir die Luft zum atmen raubt. Zu Weihnachten wollte ich bspw. eine Lichterkette um den Weihnachtsbaum hängen, benötigte dazu jedoch fast den ganzen Tag, weil ich jedesmal zusammenbrach und weinte, sobald ich auch nur aufstand und die „schützende“ Decke verließ.

Manchmal möchte ich mich in meinen Tränen vergraben und manchmal fühle ich mich so leer, als wäre ich nur ein seelenloser Gegenstand. Nichts in meinem Leben scheint mehr Sinn zu machen.
Im Gegenteil, es erscheint mir sogar plötzlich als einzig logisch, dass ich die Welt von mir befreie. Das ich ein Schandfleck in dieser Welt wäre (obwohl ich in anderen Phasen mittlerweile definitiv Selbstliebe verspüre).
Die Depression übernimmt meine Gedanken, alles was ich mir vorher hart erarbeitete, ist dann wie weggeblasen.
Das sind Momente, wo ich jeden Tag, jede Minute, jede Sekunde dagegen ankämpfe, mich umzubr*ngen. Nicht weil ich vor meinen Alltags-Problemchen fliehen möchte, wie das manche Menschen über Depressive denken, sondern weil die inneren Schmerzen so groß sind und weil die Depression keinen anderen Gedanken mehr zulässt.
*
In dieser Phase entwickeln wir konkrete Su*zidpläne und beginnen Vorkehrungen dafür zu treffen. Mehrmals in unserem Leben endete diese Phase auch in (erfolglosen) Versuchen dahingehend.
Die schlimmsten Momente, wenn du, noch immer in diesem Gefühl, aufwachst und feststellst, du musst weitermachen.
(Außerhalb dieser Episoden sind wir aber übrigens froh, dass die Versuche bisher nicht klappten).

Nichts in unserem Leben ergibt dann mehr Sinn. Es gibt keine Hoffnung mehr und wir WOLLEN (das macht besonders den entscheidenden Unterschied aus) auch keine Hoffnung mehr bekommen. Wir wollen dann keine anderen Menschen mehr sehen oder etwas von ihnen hören. Wir verlassen auch so gut wie überhaupt nicht mehr das Haus. Dazu sind wir gar nicht mehr in der Lage.
Alles ist schmerzvoll. Unser Dasein, unsere Gefühle und der Zustand, indem wir keine mehr empfinden (das kann sich sekündlich abwechseln). Unser Körper schmerzt, genauso wie jeder Gedanke an die Zukunft, die Gegenwart und die Vergangenheit. Nicht nur metaphorisch, sondern wortwörtlich.
Jeder Gedanke löst psychische wie physische Schmerzen aus.

In solch einer Phase können wir keinen Sport mehr treiben oder anderes tun, was uns womöglich daraus befreien könnte.
Diese Phasen versuchen wir nur irgendwie zu überleben. Step by Step. Sekunde für Sekunde. In der schwachen Resthoffnung, aber ohne Überzeugung, das es vllt. irgendwann wieder anders wird.
Ins solchen Phasen triggert uns gefühlt alles.
Da bräuchten wir einzig das Gefühl gewollt und geliebt zu werden, ohne Wenn und Aber. Da sind wir sehr empfindlich und fühlen uns, als wären wir ein einziger, freiliegender Nerv.

Das einzige was uns dann Halt gibt, ist der Gedanke sich umzubr*ngen. Der Gedanke, dass alles bald vorbei ist. Der Schmerz endet. Es bringt rein gar nichts, uns das in so einer Situation ausreden zu wollen. Das würde uns den letzten Halt entziehen. Der Gedanke, mit diesen Gefühlen weiterleben zu müssen, ist gleichzusetzen, für uns, mit einer Verbannung in die Hölle. Man sollte uns in solchen Vorhaben nicht aktiv unterstützen, sie uns aber auch nicht wegreden wollen. Ernst nehmen und akzeptieren reicht vollkommen.

Diese Phasen halten im Normalfall von Tagen – Wochen an, können seltener aber auch Monate andauern.

Funfact

Trotz allem haben wir von verschiedenen Ärzten/Therapeuten seit 2015 lediglich eine leichte depressive Episode diagnostiziert bekommen. Ein weiterer Grund, warum wir uns von Fachpersonen nicht ernst genommen fühlen. Besonders, wenn die Gleichen anderen Patienten eine schwere Depression diagnostizieren. Und wir gleichzeitig mit den Worten: „Ich glaube nicht, dass sie eine richtige Depression haben, sie wirken doch recht stabil“ wieder nach Hause geschickt werden. – Wir fühlen uns generell selten von Menschen in unserer Depression ernstgenommen, weil man uns schon zig mal erklären wollte, wir hätten gar keine Depression und würden nur überdramatisieren. Depression sähe ganz anders aus. Das sagten uns auch schon andere Betroffene, weil wir Sport machen, Dinge geregelt bekommen und keine Tabletten nehmen.

Wir regeln Dinge allerdings nur deshalb, weil wir niemand haben und nie hatten, der sie für uns erledigt. Wir haben keinen Betreuer (und bekommen auch keinen), keine Angehörigen oder sonst wem, der für uns Anträge ausfüllt, unseren Haushalt übernimmt, sich unser tägliches Leid anhören würde oder uns zu Terminen begleitet und darin unterstützt. Sport machen wir, wenn wir es hinbekommen, weil er uns vor noch tieferen Löchern bewahrt. Und wir nehmen keine Tabletten, weil wir uns dadurch damals noch schlechter fühlten.

Uns stört und verletzt es sehr, dass Menschen (und eben auch Fachpersonen) uns gegenüber oft so tun, als wäre bei uns alles ganz easy und nur sie/die anderen  hätten es schwer. Alles was wir tun und erreicht haben, ist harte Arbeit, die wir in jede Minute unseres Lebens investieren. Und darauf sind wir verdammt stolz und haben daher auch wenig Verständnis für Menschen, die sich zwar viel beschweren (und uns da noch mit reinziehen), aber nichts selbst in der Hand nehmen. – Nur weil wir nicht den ganzen Tag jammern, heißt das nicht, dass wir nicht mindestens die gleichen Probleme haben, wie andere.

© 2024

2 Gedanken zu „Wie fühlt sich eine Depression an?“

  1. Oh, ich kenne das so gut und kann deinen Text absolut nachvollziehen. So komisch es klingt, aber mich hält die Arbeit aufrecht. Auf Arbeit bin ich meist sehr hochfunktional und funktioniere perfekt, sie zwingt mir eine Struktur auf. Eigentlich hab ich keine Ahnung wie ich das schaffe.
    Sobald ich zu Hause bin kippt das ins Gegenteil und würde in Kategorie 2-3 passen. Und das schon über ca 2 Jahre. Was mich am Leben hält ist mein Glaube und der Gedanke, dass wenn ich selbst tätig werde, all mein Kämpfen umsonst war…
    Mein Psychiater nimmt mich auch nicht ernst, schließlich lasse ich mich ja nie krankschreiben, also muss ja alles okay sein…

    1. Geht mir ähnlich.
      Mir hilft die ehrenamtliche Tätigkeit, besonders, weil ich mir die Zeit dort auch frei einteilen. Das ein oder andere schlimmere Loch konnte die Tätigkeit schon abfedern.
      Aber das lenkt meist eben auch „nur“ ab und heilt nicht, daher immer wieder ein Unverständnis für mich, wie Fachpersonen so etwas als Begründung nehmen können, das es wohl nicht so schlimm ist 😑

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