Kennt ihr diese Situationen, wo Menschen etwas völlig falsches in einen hineininterpretieren und dann davon ausgehen, dass ihre selektive Wahrnehmung von dir, die Realität ist?
Also z.B wenn jemand einfach davon ausgeht du seist arrogant, obwohl du einfach nur introvertiert bist. Oder faul, obwoh du nur eine andere Aufgabenverteilung hast (z.B aufgrund von Krankheit, etc.). Oft geschieht sowas aus der Projektion heraus. Zum Beispiel werfen mir gerne Menschen Kritikunfähigkeit vor, während sie selbst laut, unkonstruktiv und persönlich angreifend werden.
Mich persönlich setzen solche Situationen immer extrem unter Streß.
Besonders wenn Menschen, die mir eigentlich Nahe stehen, das tun.
Bsp. rechtfertigte meine beste Freundin letzten Sommer ihr grenzüberschreitendes und verletzendes Verhalten damit, dass sie aufgrund dieser und jener Charaktereigenschaft von mir nicht anders handeln konnte.
Nur bin und war ich nie so, wie sie mich darstellte.
Was daraufhin folgte war, dass ich von ihr blockiert wurde und sie danach die Freundschaft beendete.
Alles meine Schuld natürlich.
Da wird dann nicht auf der Gefühlsebene gesprochen, also: „Ich habe das Gefühl ich könnte dir auf die Füße treten und habe vor deiner Reaktion Angst, weil ich nicht weiß wie ich damit und meinen eigenen Gefühlen, die dabei aufkommen, umgehen kann“ , sondern so, als wäre ihre Wahrnehmung Realität: „Weil du so bist, konnte ich nicht anders handeln. Du bist selbst schuld, dass du verletzt wurdest“
Ein anders Beispiel war, als mir die mangelnde Fähigkeit zu differenzieren vorgeworfen wurde. Wer mich kennt, oder zumindest meine Beiträge, müsste eigentlich wissen, dass das zu einer der letzten Fähigkeiten gehört, die ich nicht besitze. Ich frage mich in solchen Situationen dann ernsthaft, ob man mir überhaupt jemals zugehört hat?
Ich persönlich stelle dann meist meine ganze Wahrnehmung in Frage und versuche herauszufinden, wo der Fehler bei mir lag.
Wie kann es sein, dass mich jemand so komplett anders wahrnimmt, als ich bin? Und vor allem bin ich ein Mensch, meiner Meinung nach, der eigentlich sehr klar formulieren kann, was er braucht und was nicht. Was er denkt und was nicht. Ich kann meist meine Gefühle recht gut erkennen und benennen und kann ebenso selbstverantwortlich handeln, ohne anderen für meine Situation die Schuld zu geben oder mich aus der Affäre zu ziehen, wenn ich für etwas Verantwortung übernehmen muss. Ich rede deutlich und auch nicht zu wenig. Also frage ich mich, wie es möglich sein kann, dass ich so falsch verstanden werde?
Wie kann es sein, dass ich ausführlich sage und erkläre was ich meine und dann trotzdem etwas völlig anderes verstanden wird?
Ich neige dann dazu, es richtig stellen zu wollen. Zu erfahren wie der andere auf seine Sicht über mich kommt. Ich versuche dann Fakten aufzuzählen, Gegenbeweise vorzulegen, usw.
Es nimmt mich gefühlsmäßig extrem und auch lange mit.
Ich fühle mich stark verletzt und empfinde auch mein Vertrauen missbraucht.
Wozu reden, wenn am Ende doch jeder nur das versteht, was er verstehen will?
Wie schon gesagt passiert solches Verhalten oft aus der Projektion heraus. In vielen Fällen hat das mit einem vermeidenden Verhalten zu tun.
Wenn ich mich meiner eigenen Verantwortung bzw. meinen Teil an dem Konflikt oder meinen eigenen Gefühlen nicht stellen will (bzw. kann, weil es vllt zu schmerzhaft ist), ist es ein sehr einfacher Weg all das einfach von mir zu weisen. Indem ich mir die Realität so gestalte (meist passiert das unbewusst, was es aber nicht besser macht), dass ich die Verantwortung einfach abschieben kann, muss ich mich meinem eigenen Inneren nicht stellen.
Ich persönlich weiß jetzt auch endlich, warum ich mich deshalb immer so schlecht fühle und da diesen Drang zu Richtigstellung verspüre:
Ich fühle mich ohnmächtig.
Der andere konstruiert eine Version von mir, über die ich kein Mitspracherecht habe. Und aufgrund dieser Version entscheidet derjenige über unseren Beziehungsstaus. Entscheidet ob ich eine Bestrafung bekomme (Kontaktabbruch, Schweigebehandlung, Vorwürfe, Beleidigungen, sozialer Ausschluss, usw.) oder nicht.
Wenn ich selbst einen Fehler mache oder etwas an meinem Verhalten nicht okay ist, kann ich es selbst ausbügeln oder ich kann mich dazu entscheiden nichts zu verändern. Selbst wenn der andere aufgrund meines Verhaltens nichts mehr mit mir zu tun haben möchte, kann ich dafür zumindest in die Verantwortung treten.
So oder so habe ich die Chance zu handeln. Selbst wenn ich mich gegen das aktive Handeln entscheide.
Wenn jemand aber eine Version von mir erfindet und aufgrunddessen Entscheidungen mich betreffend trifft, nimmt er mir diese Möglichkeit. Ich kann nicht für Fehler gerade stehen, die ich nicht begangen habe. Ich kann nichts besser machen oder verändern, was nicht der Realität entspricht. Derjenige nimmt mir damit die Macht gleichberechtigt über die Beziehung zu entscheiden.
Und auch wenn jemand Gefühle in mich hineininterpretiert, die ich so nicht habe und aufgrunddessen Entscheidungen trifft, nimmt derjenige mir die aktive Mitgestaltung der Situation.
Ich glaube gerade im Traumakontext ist man dafür vllt auch besonders sensibel.
Ich persönlich empfinde solches Verhalten, besonders wenn es sehr starrsinnig auftritt, als extrem unreif, feige und unreflektiert. Damit entscheidet man sich aktiv für den einfachen Weg und gegen die eigene Persönlichkeitsentwicklung.
Letztendlich kann ich mich aber selbst nicht davon ausnehmen, früher selbst schon so gehandelt zu haben. In diesem Beitrag möchte ich also nicht verurteilen, jedoch darauf aufmerksam machen, dass wir selbst entscheiden können ob wir solches Verhalten weiter fortführen oder ob wir unser Verhalten hinterfragen und beginnen anders zu handeln.
Und für mich hoffe ich, das mir die Erkenntnis, dass ich mich eigentlich ohnmächtig fühle, dabei hilft aus dem Rechtfertigungsdrang zu kommen. Aufrichtiges Interesse und richtiges Zuhören hat etwas mit gegenseitigen Respekt zu tun. Ich muss ehrlich sagen, dass ich nicht mehr bereit dazu bin meine Zeit mit Menschen zu verschwenden, die lieber ihre eigene Version von mir sehen möchten, als mich selbst. Worte, die bei Menschen nicht ankommen, spare ich mir besser ganz. Wer gerne seine eigene Version von mir möchte, der soll sie behalten.
Anmerkung: Ich spreche hier nur von Situationen, wo Menschen an ihrer eigenen Version von dir festhalten und auch dich davon überzeugen wollen, dass du so seist. Die einem nicht zuhören und aus deinem Gesagten etwas ganz eigenes basteln und daran festhalten. Missverständnisse dagegen gibt es immer einmal, genauso wie man manchmal generell einfach nicht auf einer Wellenlänge ist. Solange aber auf der Gefühlsebene klar und reflektiert formuliert wird (heißt jeder bleibt bei sich), ist alles okay.