Abwehrmechanismen der Psyche (Teil1)

Genauso wie unser Immunsystem erfüllt auch unsere Psyche einen wichtigen Zweck. Während unser Immunsystem für den Körper schädliche Bakterien und Viren abwehrt, wehrt unsere Psyche Gefühle und Impulse ab, die zu inneren Konflikten und Spannungen führen und uns damit schaden könnten.

Wie wir es bereits letztens durchgegangen sind, sind Gefühle überhaupt nichts schlimmes. Sie erfüllen eine wichtige Funktion, allerdings können sie oft im Zwiespalt zur äußeren Welt stehen, zu unseren Glaubenssätzen oder auch Wertevorstellungen. Und genau dann greifen bestimmte Abwehrmechanismen, wie sie jeder Mensch mindestens schon einmal erlebt hat. Und jeder wird es hin und wieder einmal tun. Das ist völlig normal und schützt unser System vor Überlastung. Schädlich werden sie erst dann, für uns selbst und für unsere Umgebung, wenn wir darin verharren bleiben.

Reflexion unserer Gedanken- und Handlungsmuster kann uns dabei helfen, mehr mit uns in Kontakt zu kommen. So können wir verstehen lernen, wovor und auch warum unsere Psyche uns gerade zu schützen versucht. Das Verstehen dessen kann uns aber auch dabei helfen, viele Reaktionen anderer Menschen (auch uns gegenüber) besser nachvollziehen zu können. Denn das meiste hat tatsächlich weniger mit uns selbst zu tun, als viel mehr mit ihnen. Genauso wie unsere Handlungsweisen gegenüber anderen sehr viel mehr mit uns gemein haben, als mit den anderen.

Wichtig ist hier noch zu sagen, dass es bei vielen Menschen Abwehrmechanismen gibt, die ihre Psyche „bevorzugt“, da sie sich als effektiv erwiesen haben. Aber meistens ist es so, dass jede Psyche trotzdem viele verschiedene Abwehrmechanismen einsetzt. Je nachdem was gerade sinnvoll erscheint. Und ☝, dass sie selten bewusst eingesetzt werden.

(alle Namen inkl. Beispiele sind erfunden und zudem in keine Richtung wertend gemeint)

Projektion

Jeder von uns hat Persönlichkeitsanteile (nicht im Rahmen der Dis) die er nicht annimmt und daher verdrängt. Ganz viel spielt dabei eine Rolle, wie wir aufgewachsen sind und geprägt wurden. Was wir richtig und falsch finden und mit unseren Wertvorstellungen überein passt. Nehmen wir das Bsp. eines Mannes, der in seiner Kindheit immer wieder vermittelt bekam, dass ein Mann stark zu sein hat und nicht weinen darf. Gefühle zu zeigen würde Schwäche bedeuten. Emotionen, vor allem solche wie Traurigkeit und Verletzbarkeit lässt er nun, wo er erwachsen ist, nicht mehr durch. Er lehnt sie an sich selbst ab, da sie ja Schwäche bedeuten. Ein Mann hat schließlich stark zu sein.

Nun begegnet er anderen Menschen, die sehr emotional sind. Ihre Tränen offen zeigen und über ihre Gefühle sprechen (wollen). Gegenüber diesen Menschen wird er nun vllt. eine Abneigung verspüren. Er wird sie für schwach halten und vllt. kommt sogar Ekel in ihm auf, weil diese Menschen genau den Teil in ihm ansprechen, offenbaren, den er verdrängt hat. Also geht er in die Abwehrhaltung. Um nicht mit seinem verdrängten Teil in ihm, seinen Gefühlen, in Kontakt zu kommen, versucht er etwas im Außen zu verändern. Der andere soll sich ändern, nicht so „weinerlich“ sein. Sich etwas „mehr zusammenreißen“ , sich „nicht so anstellen“ , usw.

Er projiziert sein innerstes nach Außen und versucht es dort zu ändern. Die Umgebung an seine (innere) Realität anzupassen.

Wendung gegen sich Selbst

Innere Emotionen, wie z.B Wut o.a., werden hier gegen sich Selbst gerichtet, anstatt gegen das Außen.

Als Bsp. wieder: Johannes wächst in einer Umgebung auf, wo z.B sehr viel Projektion stattfindet. Ständig bekommt er gesagt, dass er einfach zu unfähig und zu dumm ist, um irgendetwas hinzubekommen. Er verinnerlichte dies so sehr, dass er nun, wo etwas nicht klappt, den Grund in seiner Fehlerhaftigkeit bei sich sieht. Wäre er weniger dumm und unfähig, dann wäre seine Freundin nicht mit dem Nachbarn durchgebrannt. Das Projekt auf Arbeit wäre angenommen worden oder sein Auto nicht kaputt gegangen. In ihm steigt eine unglaubliche Wut gegen den Verursacher seines Scheiterns auf: Ihn Selbst. Nun sitzt er zuhause und macht sich endlose Vorwürfe: „Wenn ich nicht so dumm wäre, dann wäre das gar nicht passiert. Warum kann ich nicht anders sein? Warum bin ich so ein unfähiger Mensch?! Alles mache ich kaputt!“ .Vllt verletzt er nun deshalb nicht nur seine Psyche (durch innere Vorwürfe) , sondern sogar seinen Körper.

In Wahrheit ist es aber so, dass Dinge manchmal scheitern. Egal wie sehr wir uns anstrengen und uns Mühe geben. Nicht alles was passiert liegt in unserer Macht. Es gibt unglaublich viele Komponenten, wie etwas zu etwas führen kann. Ein Scheitern hat nicht automatisch etwas mit uns zu tun.

Als Johannes früher immer wieder diese verletzenden Worte hörte, entstand eine tiefe innere Verletzung. Sein tiefstes Inneres spürte nicht nur die Ungerechtigkeit, sondern er wurde auch nie so angenommen und geliebt wie er war. Die Wut die daraus entstand, schlummert noch immer in seinem Inneren. Und wenn jetzt etwas scheitert (was hier als Trigger fungiert), richtet er diese Wut gegen sich Selbst. Es wurde nie verbalisiert, dass er nicht der Grund ist. Der Grund für seine Wut liegt eine Schicht dahinter und die Auseinandersetzung mit dieser früheren Verletzung wäre sehr schmerzhaft.

Rationalisierung

Geschehnisse und Handlungen werden rationalisiert, statt den dahinterliegenden, wahren Grund zu betrachten. Nehmen wir das ganz aktuelle Bsp. mit dem Tragen eines Mund- und Nasenstutzes. Da ich aus gesundheitlichen Gründen keine Maske tragen kann, habe ich sehr viele Anfeindungen erfahren. Immer wieder fielen Argumente wie: „Wir haben eine Maskenpflicht, deshalb müssen Sie die tragen“ oder „Aus Solidarität zu anderen muss man eine tragen, sonst ist das egoistisch“ . Spannend fand ich dabei, dass kaum einer sagte was tatsächlich hinter ihrer Aggression mir gegenüber, einem ja völlig fremden Menschen, lag: Angst. Die Angst um das eigene Leben oder das derer, die sie lieben.

Und als dann die Impfungen aufkamen, wurde es sogar noch extremer. Menschen gingen soweit, andere deshalb sogar wegsperren zu wollen, wenn sie eine Impfung ablehnten. Auch das wurde rational begründet. Sie wären gefährlich für andere und das noch aus völlig egoistischen Gründen. In Wahrheit ging aber eine furchtbare Angst durch das Land, der aber nur wenige ins Auge schauen wollten (und hier setzt bzgl. dem „Egoismus-Vorwurf“ auch wieder die Projektion ein = aus meiner inneren Angst versuche ich den anderen zu etwas zu zwingen, damit meine Angst stiller wird).

Ein anderes Bsp.: Sandra hat furchtbare Angst vor dem Zahnarzt. Dort steigt in ihr ein Gefühl von Hilflosigkeit und Ausgeliefert sein auf, was aus einem früheren (vllt. noch verdrängten) Trauma resultiert. Nun findet sie immer wieder Gründe nicht hin zu gehen, z.B weil die Zähne ja gar nicht weh tun. Oder der Zahnarzt sowieso nicht so kompetent wirkt. Und eigentlich hat sie gerade eh viel zu viel um die Ohren. Es werden also rationale Gründe gesucht, um das dahinterliegende Gefühl nicht spüren zu müssen.

Verschiebung

Hier verschieben wir Gefühle und Vorstellungen von einer Person auf eine andere, weil wir sie an der Ursprungsperson nicht ausagieren können.

Bspw. hat Fritz auf Arbeit sehr viel Ärger mit seinem Chef. Er wird immer wieder niedergemacht, seine Arbeit nicht gewürdigt und er entwickelt daraufhin sehr viel Wut dem Chef gegenüber. Er fühlt sich nicht ernst genommen, nicht gerecht behandelt und spürt den mangelnden Respekt seines Chefs ihm gegenüber. Gegen diesen kann er seine Gefühle aber nicht richten, da er sonst Gefahr läuft noch schlechter behandelt zu werden oder gar seinen Job zu verlieren. Er kommt nun nach Hause und seine Frau fragt ihn ob er daran gedacht hat, die Briefe die sie ihm mitgab, abzugeben. Eine vollkommen neutrale Frage. Aber in ihm kommen gerade all die unterdrückten Gefühle von der Arbeit hoch. Er beschimpft seine Frau sie würde ihn nur drangsalieren, ihn nicht ernst nehmen, nicht respektieren. Er beleidigt sie … und schlägt zu. Schuld ist dann natürlich sie (in seinen Augen), da sie ihn ja so lange gereizt hat.

In Wahrheit war diese Situation aber nur ein Trigger für seine ungelösten (inneren) Konflikte. Seine Frau hatte damit überhaupt nichts zu tun. Bei der Verschiebung nehmen wir also all unsere Gefühle, die wir an der eigentlichen Person, gegen die sie gerichtet sind, nicht auslassen können und richten sie gegen eine nähere und verfügbarere Person, die wir in diesem Moment uns gegenüber in einer unterlegeneren Position erachten. Das können auch die Geschwister, das Haustier, Gegenstände, o.ä sein. Und in diesem Zusammenhang können auch Phobien entstehen. Z.B kann sich eine Klaustrophobie entwickeln, wenn wir uns von Menschen beengt fühlen (z.B durch Missbrauch), auf deren Schutz wir angewiesen sind.

Sublimierung

Sublimierung kommt vom lateinischen sublimare und bedeutet soviel wie „erhöhen“ oder „emporheben“ . Nicht gern gesehene innere Triebe und Wünsche werden hier in sozial und kulturell angesehene, akzeptierte Handlungen umgewandelt, wie „veredelt“ . Und das ist etwas, was wir z.B so gut wie alle, ständig tun.

Als Bsp. wieder die Situation mit dem Stress auf der Arbeit. Statt nach Hause zu gehen und die inneren Konflikte und Spannungen an der Umgebung auszulassen, nutzt man hier eine andere Möglichkeit. Sport ist z.B so ein Medium. Viele Aggressionen lassen sich sehr gut über sportliche Betätigung abbauen. Oder mein Schreiben, der Blog hier, ist der künstlerische Ausdruck innerer Ohnmacht. Hier kann ich aus dem passiven Zustand, der ich einst als Opfer war, in den aktiven übertreten. Viele Kunstwerke und lyrische Schriften entstanden aus inneren Konflikten, die in künstlerischer Form auf ein Medium übertragen wurden.

Ein Bsp. wäre hier auch die Autorin eines Liebesromans (das gilt nicht allgemein, sondern soll nur als Beispiel dienen!). Sie sehnt sich nach sexueller Spannung, Leidenschaft und Liebe. Ihr Mann leidet vllt an einer Krankheit, beide lebten sich auseinander oder vllt hat sie auch sexuelle Wünsche, die sie in ihrer Beziehung nicht ausleben kann. All diese Wünsche, Triebe und Bedürfnisse kann sie nun in ihren Roman legen und auf diese Art ausleben.

Regression

Bei der Regression treten wir in einen früheren Entwicklungsstand zurück, um erwachsene Entscheidungen zu umgehen. Das hört sich erst einmal wertender und negativer an, als es eigentlich ist. Wir alle tun das in regelmäßigen Abständen, mal mehr und mal weniger.

Psychosomatische Beschwerden können da so ein Beispiel sein. Wir rutschen in einen Zustand zurück, als wir unsere Gefühle noch nicht verbalisieren konnten, weil wir noch gar keine Sprache erlernt haben und nur unser Körper reagieren konnte. In den Zustand des Babys oder Kleinkindes, wo wir auf ungestillte Bedürfnisse mit Bauchschmerzen reagiert haben. Oder mit Herzrasen, weil wir Angst bekamen. Die Gefühle, die nie eine Bezeichnung erhielten, können sich dann heute über den Körper äußern. Bauchschmerzen, wenn wir uns nicht gesehen und gehört fühlen oder Bluthochdruck, weil die Angst vor dem Verlassenwerden so stark in unserem Inneren präsent ist und uns ständig in Anspannung versetzt.

Aber auch trotziges und bockiges Verhalten kann sowas sein: „Nein, jetzt will ich das auch nicht mehr!“ oder „Du hast mich nicht richtig verstanden, deshalb rede ich jetzt nicht mehr mit dir“ . Oder was man oft auch in vielen Diskussionen auf SocialMedia oder auch privat erleben kann, wenn unterschiedliche Meinungen aufeinander treffen: ,,Das finde ich blöd und du bist es auch“ – „Du bist aber noch viel blöder“ – Das sind oft Verhaltensweisen, wie wir sie bei kleineren Kindern beobachten können, die ihre aufkommenden Gefühle (z.B nicht gesehen oder ernst genommen werden) noch nicht wirklich betiteln können. Und wenn wir als Erwachsene da hinein rutschen, kommen eben solche Gefühle auf, für die wir noch immer keine Worte (bei uns selbst) kennen und die wir auch nicht sehen und fühlen möchten.

Kompensation

Wenn wir Kompensieren, versuchen wir ein inneres Ungleichgewicht auszugleichen. Als Bsp. nehmen wir Friedolin, der mit seinem Körper nicht wirklich im Reinen ist. Er fühlt sich schwach, unattraktiv und kann nicht wirklich mit seinem Körper in Kontakt kommen und ihn als Teil seines Selbst anerkennen. Er lernt einige Bodybuilder kennen, die genau das zu verkörpern scheinen, was er sich wünscht. Stärke, Macht und eine sehr attraktive Freundin. Er beginnt daraufhin ebenfalls mit dem Bodybuilding (auch das dient nur als Bsp. und gilt nicht allgemein!) und spürt Anfangs auch immer mal wieder ein kurzes Gefühl der Befriedigung.

Nur bleibt es nicht. Da dieses Gefühl der Unzufriedenheit mit sich Selbst aus seinem tiefen Inneren kommt und in erster Linie gar nicht wirklich etwas mit seinem Körper zu tun hat, erreicht er nie wirklich das Gefühl der Zufriedenheit, welches er sich so wünscht, mit seinem Bodybuilding. Es ist nicht genug. Er wird diese innere Unzufriedenheit einfach nicht los. Vllt müssen es mehr Muskeln sein, er muss sich noch mehr anstrengen, denkt er. Also trainiert er weiter. Spritzt sich Anabolika, nimmt Unmengen an Proteinen zu sich … Aber nichts. Die Zufriedenheit bleibt einfach nicht. Also macht er weiter und befindet sich schon längst in einer Sucht, ohne es zu merken. Er kompensiert sein inneres, schmerzhaftes Gefühl, eine alte Verletzung, mit etwas äußerem.

Ein anderes Bsp. wäre da das Essen. Viele von uns kennen das: Man ist traurig und greift zur Schokolade. Es gibt uns ein kurzes, gutes Gefühl, womit wir das negative auszugleichen versuchen.

In Teil 2 gehts weiter …

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