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Die große Frage: Wissen Betroffene
überhaupt das sie betroffen sind?
Naja, nein 😅.
In den meisten Fällen dauert es tatsächlich sehr lange bis die ‚Dis‘ festgestellt wird.
Das Durchschnittsalter liegt da bei 30 – 37 Jahre. Viele erfahren es aber auch bis ins hohe Alter oder bis zu ihrem Tod nicht.
Das Gehirn leistet da mit seinen Traumabarrieren ganze Arbeit. Die meisten Betroffenen würden sogar, bis zu den ersten diffusen Erinnerungen, schwören das ihnen niemals etwas Schlimmes passiert ist. Ich würde da heute, trotz Flashbacks und SEHR eindeutigen Symptomen noch meine Hand für ins Feuer legen.
Durchschnittlich, sagt man, laufen Betroffene 7 – 15 Jahre durchs Gesundheitswesen, bis eine entsprechende Diagnose gestellt wird/werden kann.
Lebt man also ein völlig unbeschwertes
Leben bis zur Diagnose?
Nein, natürlich nicht.
Auch wenn die Alltagspersönlichkeit keine Ahnung vom Trauma hat, so ist sie dennoch von den verschiedensten Symptomen betroffen. Wir dürfen nicht vergessen das bei der ‚Dis‘ eine komplexe PTBS Voraussetzung ist und sich diese Symptome auch dauerhaft bemerkbar machen.
Fast alle leiden unter zusätzlichen Erkrankungen wie Depressionen, einer Sozialphobie, Persönlichkeitsstörungen, Süchten, selbstverletzenden Verhalten, somatoformen Beschwerden, aber auch psychotische Erkrankungen sind möglich usw.
In vielen Fällen wandern die Betroffenen also schon lange durch die Kliniken und Therapien und sammeln dadurch einen Haufen Diagnosen an, welche einzeln für sich aber nie das eigentliche „Problem“ wiedergeben.
Viele bekommen auch diverse „Fehl“diagnosen wie Borderline (obwohl viele ‚Dis’patienten auch einige Borderlineanteile haben) oder Schizophrenie, woraufhin sie dann leider auch oft falsch behandelt werden.
Zu welchen Symptomen kommt es noch?
Etwas spezifischer auf eine ‚Dis‘ lassen vll eher folgende Symptome/Auffälligkeiten schließen:
- diverse Zeitlücken
– z.B bekommst du mit wie ein Gespräch beginnt und dann SCHNIPP, ist der Gesprächspartner weg, das Gespräch vorbei und du hast keine Ahnung was während dieser Unterhaltung überhaupt abgelaufen ist
–> höchstwahrscheinlich hast einfach nicht DU das Gespräch geführt 😌
-oder du findest dich plötzlich an einem ganz anderen Platz in der Wohnung wieder und hast keine Ahnung wie du dahin gekommen bist
–> manche finden sich z.B auch plötzlich an der Supermarktkasse oder in einer ganz fremden Stadt wieder
– oder du schenkst dir eine Tasse Kaffee ein, stellst sie ab, willst nun wieder danach greifen und stellst plötzlich fest das der Inhalt schon ausgetrunken ist
-dir fehlen gar ganze Stunden bis Tage, manchmal sogar Jahre, bei denen du nicht weißt was passiert ist
- Persönliche Sachen sind wie vom Erdboden verschluckt und tauchen dann an den unmöglichsten Stellen wieder auf
– oder du findest plötzlich Sachen in deinem Schrank, an die du dich gar nicht erinnern kannst, sie gekauft zu haben
- Stimmen hören
Also: Viele (?🤔) nehmen direkt die Stimmtfarbe der unterschiedlichen Personen wahr, die Stimmfarbe zu hören ist aber kein Muss. Aber du hörst die Stimmen IM Kopf, es sind keine akustischen Halluzinationen!
Letztens habe ich was schönes dazu gefunden, was ich zumindest sehr treffend finde -> Zitat:
»Vor einem Jahr tobte in mir beinahe täglich eine Art innerer Streit, den ich als wirre, widersprüchliche, laute Gedanken – alles „meine“ Gedanken – verstanden habe. Ich konnte nicht schlafen, ich konnte kaum ein Konzert oder einen Film mitverfolgen, weil mein Kopf jede Minute, die ich nicht unter äußerem Stress stand, das Tagesgeschehen oder anstehende Entscheidungen „mit sich selbst“ diskutierte.«
Stimmfarbe naja, ein dauerndes Gequassel in Form der „eigenen Gedanken“ (aber mit anderer Intensität), ja.
Kommentieren, diskutieren oder eisernes Schweigen – Wie das mit Menschen im Außen eben auch so ist 😅.
So eine Kommunikation läuft aber nicht immer über „Stimmen bzw Reden“ ab. Von einer weiß ich z.B das bei ihr die Kommunikation rein über Gefühle verläuft, auch Bilder die im Inneren auftauchen, plötzliche Gelüste oder Wünsche können auch eine Art der Kommunikation sein.
Die Stimmen, die Befehle geben sind bei der ‚Dis‘ bestimmt auch möglich, treffen aber eher auf die Schizophrenie zu, denke ich.
- Gedanken die sich völlig fremd anfühlen, als wären sie von einem fremden Menschen IN einem selbst (somit teildissoziierte Gedanken) bzw Gedanken die plötzlich in deinem Kopf auftauchen (z.B als Antwort auf etwas von DIR Gedachtes) und du dir denkst: „Hä? Wo kam das denn jetzt her?“
Weitere Symptome
- Plötzlich Dinge Können oder nicht mehr Können (z.B Autofahren, lesen, usw.) ➡️ ich starre z.B manchmal aufs Handy und weiß einfach nicht was ich damit tun soll. Auf der einen Seite weiß ich zwar noch was das ist, auf der anderen kann ich aber weder die Buchstaben lesen, noch weiß ich, wie ich es bedienen soll.
- Menschen, die du nicht kennst, sprechen dich an (vll sogar mit einen anderen Namen) oder tun so, als würden sie dich kennen oder du findest fremde Menschen in deinen Kontaktlisten
- Aussagen vom Umfeld das du dich sehr unterschiedlich verhältst, Gespräche an die du dich nicht, falsch oder völlig verändert erinnert – wie ein anderer Mensch sein, viele Gesichter haben etc.
- Sich plötzlich wie eine andere Person fühlen oder sich insgesamt ständig fragen WER man (gerade) eigentlich ist
- Unterschiedliche Handschriften bei sich ferststellen oder auch Notizen auffinden, an die du dich nicht erinnern kannst, sie jemals angefertigt zu haben
- Dissoziationen (und alles was dazu gehört) selbstverständlich
- Du könntest das Gefühl haben das du plötzlich Dinge sagst oder tust, die du eigentlich gar nicht tun/sagen willst, sie aber auch nicht steuern kannst (als hätte jemand Besitz von dir ergriffen), z.B hörst du wie etwas aus deinem Mund kommt, was du aber gar nicht sagen wolltest und es sich auch nicht nach dir anhört/anfühlt oder du bewegst dich so, wie DU es eigentlich gar nicht (bewusst) möchtest oder von dir kennst
- Du reagierst unterschiedlich auf Medikamente – Schmerzmittel können z.B einfach in der „Luft verpuffen“ und das nächste mal voll anschlagen oder du hast an manchen Tagen eine Allergie und an manchen nicht
- alles was zum Thema Trauma dazugehört
-u.a Flashbacks (visuelle, akustische, auch schmecken, riechen oder fühlen – alles was einen in die traumatische Situation zurückwirft)
-Intrusionen (meine Thera. nannte es viel zutreffender ,,Widerhallerinnerungen“), dass sind Bilder oder Gefühle die sich dir aufdrängen, dich aber nicht so stark zurück in die Traumasituation werfen, wie beim Flashback)
-usw.
Sieht man es den Betroffenen an?
Nochmal nein.
Wer es nicht weiß und wer sich damit auch nicht näher beschäftigt, bekommt nichts mit. Meiner Meinung nach zumindest.
Was mich sehr stört, ist die häufige Aussage bzw. der „Beweis“ das derjenige gar kein Traumabetroffener sein kann, weil er „nicht so wirkt“ . „Der oder die wirkt viel zu abgeklärt, zu konzentriert oder gar nicht verstört genug. „
Herrgott 🤦, der Sinn der Dissoziation ist die Abspaltung! Es ist ganz normal wenn jemand da „abgeklärt“ wirkt, weil ER das Trauma entweder nicht erlebt oder keinen Zugang dazu hat. Das müssen nicht immer die kognitiven Erinnerungen betreffen, sondern auch die eigentlich dazu passenden Gefühle können abgespalten werden. Du kannst dich also kognitiv erinnern, hast aber keine passenden Emotionen dazu.
Wenn ich z.B bei meiner Therapeutin etwas problematisches anspreche, dann lache ich meist 😅. Umso schwieriger das Thema, umso mehr lächle ich dabei oder lache sogar laut. Das hat aber nichts damit zu tun, dass ich das alles so witzig finde, sondern das die eigentlich passenden Emotionen für mich einfach nicht zugänglich sind und durch das Lachen entschärfe ich für mich zudem selbst die Situation. Das ist ein automatischer Vorgang und für einen Außenstehenden muss es aber bestimmt wirken, als wäre ich total happy und hätte 0 Probleme, was aber natürlich nicht der Fall ist. Auch das mit dieser Konzentrationssache:
Viele Trauma- und ‚Dis’betroffene sind trotzdem hochfunktional. Nicht weil sie alles so gut wegstecken, sondern weil es der Alltag erfordert nicht das kleine Häufchen Elend in der Ecke zu sein. Wenn ich z.B überlege, wenn ich auf jeden potenziellen Trigger einsteigen würde, der sich bietet (das entscheidest du aber nicht bewusst, solche Vorgänge regelt dein Unterbewusstsein), dann dürfte ich die Wohnung wahrscheinlich gar nicht mehr verlassen und das geht einfach nicht. Dein ‚Unterbewusstsein‘ regelt was geht und was nicht, wann du funktionieren musst und wann nicht.
Gerade deshalb platzen bei vielen auch Symptome heraus, die sich all die Jahre vorher nicht gezeigt haben, sobald ihre Lebensumstände ruhiger werden (allerdings ist auch das Gegenteil der Fall: Wenn es zu stressig wird, kann das System überlasten, was sich durch mehr Amnesien ect. zeigen kann).
❗Also MERKE❗: Nur weil jemand nicht nach Trauma und Problemen aussieht, heißt das nicht das es ihm gut geht oder er lügt. Solange ich kein Arzt/Therapeut oder anders Fachkundiger bin, halte ich also an mir, mit meinen (Fern)Diagnosen, ob jemand lügt oder nur Aufmerksamkeit will, ja?😌
Nun zu den Diagnosekriterien:
Laut ICD-11 (da das neue Diagnosehandbuch 2022 erscheint, gebe ich das hier an) müssen für die Diagnose einer ‚Dis‘ folgende Punkte erfüllt sein:
- Jeder Persönlichkeitszustand beinhaltet sein eigenes Muster von Erleben,
Wahrnehmen, Erfassen und Interagieren mit sich selber, dem eigenen Körper
und der Umgebung
- Mindestens zwei unterschiedliche Persönlichkeitszustände übernehmen
wiederholt die exekutive Kontrolle des Bewusstseins und des Handelns in
zwischenmenschlichen Interaktionen, im Austausch mit der Umwelt, und in
verschiedenen Lebensbereichen wie Elternschaft, Arbeit, oder in Reaktion auf
spezifische Situationen (z.B. als bedrohlich erlebte Situationen).
- Wechsel zwischen Persönlichkeitszuständen sind verbunden mit Veränderungen von Empfindungen, Wahrnehmung, Affekten, Kognitionen, Erinnerung, motorischer Kontrolle und Verhalten
- Episoden von Amnesien, die schwergradig sein können (Amnesie ohne Einfluss von Drogen oder Alkohol)
Zudem…
Jeder mit einer ‚Dis‘ hat zudem eine Komplexe-Posttraumatische Belastungsstörung als Grundlage.
Keine K-PTBS, keine ‚Dis‘ (da für die Entstehung ja eine langanhaltende, wiederholte Traumatisierung von Nöten ist)
( –> das eigenständige Diagnosebild der KPTBS (auch DESNOS) gibt es allerdings erst mit dem neuen ICD-11, bisher gibt es offiziell nur die PTBS im Diagnose Handbuch) . Ich hab bei vielen Stellen gelesen, dass eine kPTBS zur Dis zusätzlich hinzukommen kann. Es kann naturlich auch so sein, ich bin ja selbst kein Mediziner. Aber für mich ist das halt unlogisch, da die Dis ja nur durch langanhaltende Traumatisierung entsteht, was logischerweise eine kPTBS zur Folge hat 🤷♀️.
Sollte der Verdacht bestehen, kann die ‚Dis‘ über einen diagnostischen Fragebogen, ein Interview-Gespräch (SKID-D) oder/und (was auch zuverlässiger ist) durch Beobachtung in einer Klinik festgestellt werden. Ich finde es wichtig wie man sich selbst fühlt und wahrnimmt. Schwarz auf Weiß bekommt man es am Ende aber eben doch nur vom (vorzugsweise Trauma-) Therapeuten oder Psychiater 🙂. Wenn ihr den Verdacht habt, sprecht es beim Therapeuten/Arzt an und lasst euch nicht „entmutigen“ , wenn ihr nicht direkt eine Diagnose bekommt. Meiner Meinung nach ist es (und sollte es, zur Sicherheit, auch sein) ein längerer Weg, bis so eine schwerwiegende Diagnose gestellt werden kann.
Ein Gedanke zu „Dis – Symptome und Diagnosik“