Archiv der Kategorie: Dissoziative Störungen

DSNNB / DDNOS / PDIS

Was ist eine DSNNB?

= Dissoziative Störung, nicht näher
bezeichnet (DDNOS = engl. Name – dissociative disorder not otherwise specified)

Soo, im Prinzip wird diese Diagnose für Menschen genutzt, die nicht vollends in das Bild der ‚Dis‘ reinpassen.

Aber auch wer nicht alle Kriterien für eine andere Diagnose, wie die Derealisations-/Depersonalisationsstörung (weil er z.B Derealisationserlebnisse hat, die aber nicht von Depersonalisation begleitet werden) erfüllt, bekommt diese Diagnose gestellt, ebenso wie Menschen bei denen Dissoziationserlebnisse nach einer Gehirnwäsche auftreten usw.

Also, im Prinzip alles was nicht in das vollständige Bild einer anderen dissoziativen Störung fällt.
Bei der großen Mehrheit ist diese Diagnose aber tatsächlich als Vorstufe/Unterkategorie zur ‚Dis‘ anzusehen.
[Übrigens geht man davon aus das die große Mehrheit der Patienten, die mit einer anderen Dissoziativen Störung (außer Dis) diagnostiziert sind, eigentlich eine DSNNB haben, was einen betrachtlich großen Teil ausmachen würde. Leider wird dieses Diagnosebild selten richtig erkannt.]

Im ICD-11 gibt es jetzt aber Gott sei Dank die Änderung das jenes, was wir jetzt als Unterkategorie zur ‚Dis‘ bezeichnen und noch unter den Begriff DSNNB fällt, nun seinen eigenen Diagnoseschlüssel bekommt.
Das Ganze heißt ab 2022 pDIS = Partielle Dissoziative Identitätsstörung.
Das macht die Aufschlüsselung und das Differenzieren endlich etwas leichter.

Wo liegt der Unterschied zur ‚Dis‘?

Im Prinzip ist der Grad zur ‚Dis‘ wirklich extrem schmal.
Personen mit ‚pDIS‘ sind ebenfalls Multiple und haben andere Persönlichkeiten abgespalten, ebenso liegt eine Abspaltung von ganzen Gedächtnisinhalten, Körperwahrnehmung oder Bewegungen (im Gegensatz zum normalen Bewusstsein) vor.

Die Symptome sind soweit auch fast die Gleichen wie bei der ‚Dis‚ , einzig bei den Amnesien wird unterschieden. Was ich persönlich verwirrend finde, ist das manche sagen bei einer ‚pDIS’/DSNNB darf es gar keine Amnesien geben, weil ständiges Co-Bewusstsein zu den anderen Persönlichkeiten herrscht (jeder weiß zu jeder Zeit was der andere getan hat – keine Amnesiebarrieren), andere sagen wiederum das es sehr wohl Amnesien geben kann, diese aber weniger stark ausgeprägt sind, als bei der ‚Dis‘. Dieses Modell vertrete auch ich, ehrlich gesagt (dazu hab ich Neuigkeiten ☝, siehe nächster Abschnitt).

Allerdings gibt es jetzt bei der ‚Dis‘ auch die neue Unterscheidung von Typ 1, bei welchem Wechsel nur unter traumanahen oder Stresssituationen geschehen und Typ 2, bei welchem es auch zwischendurch zu einem Switch kommt. Vorher habe ich genau diese Unterscheidung eigentlich in den Bereich ‚pDIS‘ und ‚Dis‘ gelegt. Also so wirklich weiß ich das daher auch nicht 😅

Auszug von Alison Miller

… aus „Jenseits des Vorstellbaren“ (S. 62):


»Bei DDNOS ist der ANP immer präsent, selbst wenn eine andere Innenperson die Kontrolle über das Verhalten und die Gefühle übernommen hat. Menschen mir DDNOS (die einen Hüllen-ANP haben) können innerlich genau so komplex sein, wie Klienten mit DIS […]. Vieles fällt multiplen Persönlichkeiten mit DDNOS leichter, als solchen mit DIS, da sie keine Amnesie haben und so z.B. nicht feststellen müssen, dass sie sechs mal hintereinander gefrühstückt haben. Doch es fällt Ihnen leichter als DIS-Klienten, irrtümlicherweise davon auszugehen, dass ihre negativen Gefühle durch Situationen in der Gegenwart verursacht werden statt durch ein altes Trauma, das durch etwas in der Gegenwart getriggert worden ist. Und es ist schwieriger für Therapeuten, ihre Multiplizität zu erkennen.«


Edit: Jetzt nochmal (hoffentlich) richtig

Ich wollte den oberen Teil mal stehen lassen, weil es bzgl. pDis sehr, sehr viel Verwirrung gibt und man auch wirklich kaum etwas dazu im Netz findet. Und so seht ihr, dass ich genauso heillos überfordert war. Mittlerweile hoffe ich etwas mehr hinter die Unterschiede gestiegen zu sein und daher probieren wir es jetzt einfach nochmal.

Bei der Dis gibt es mehrere ANP’s (Persönlichkeitsanteile die sich um den Alltag kümmern), während bei der pDis nur ein ANP existiert. Ich betone aber dazu, dass auch hier der ANP nicht „die ursprüngliche Persönlichkeit“ ist, sondern auch nur eine der Persönlichkeiten (keine Ahnung warum es uns so wichtig ist, dass an jeder Stelle zu erwähnen🤔). Dennoch gibt es EP’s (emotionale Persönlichkeitsanteile/Traumaträger) genau wie bei der Dis. Und diese kann es auch in genauso hoher Anzahl wie bei eben jener geben. Ebenso haben diese teilweise ein ganz eigene Persönlichkeit, Aussehen, Meinung, Vorlieben, Erinnerungen, usw.

Die Amnesien

Und, jetzt kommt der springende Punkt, was ich vorher mit den Amnesien nicht ganz gecheckt habe: Ja, die gibt es auch bei der pDis! Zwar sind alle anderen Anteile zum ANP Co-Bewusst, dennoch muss das nicht auch automatisch umgedreht gelten. Es ist also möglich das z.B ein EP herauswechselt, zudem es dann eine Amnesie geben KANN. Alltagsamnesien kommen aber seltener als bei der Dis vor, da wie gesagt meistens ein Co-Bewusstsein zu allen existiert.

Das heißt aber nicht, dass du als ANP irgendeine Ahnung davon haben musst. Es kommt meistens zu teildissoziierten Handeln. Die EP’s wirken, handeln und sprechen durch dich hindurch. Du kannst das entweder gar nicht bemerken oder aber du fühlst dich „wie im Nebel„, „nach Hinten gedrängt„, „nicht mehr Herr über deinen Körper„, usw. So können z.B auch in der Therapie die anderen mit dem Therapeuten sprechen, während du im Hintergrund aber noch mit dabei bist (und keine Amnesie hast). Oder du bemerkst es an deiner Körperhaltung, die sich ändert, an deiner Aussprache, usw. Im Prinzip ist das also sehr ähnlich wie bei der Dis, nur die größeren Alltagsamnesien fehlen (weil sich wie gesagt nur ein ANP um den Alltag kümmert und die Barrieren unteinander nicht so stark sind).

Hach, ich hoffe ich habe das jetzt so relativ richtig erklärt 😅.

Was mir noch auf dem Herzen liegt

Ich habe so oft das Gefühl, dass das Leid und das erfahrene Trauma anhand des Schweregrades der Diagnose festgemacht wird. Jetzt nicht nur unbedingt das andere das anderen vorwerfen (das öffentlich vllt sogar eher weniger), sondern viel mehr das Betroffene das auch bei sich selbst tun. Ein Satz in einer Dis-Gruppe blieb mir da hängen: ,,Es ist bei mir jetzt doch nur eine schwere DDNOS und keine Dis. Darf in trotzdem in der Gruppe bleiben? “ und das tat mir irgendwie so ein bisschen weh. Also allein der Gedanke.

Selbstverständlich ist es von der Symptomatik etwas anderes, wenn man z.B eine Sucht, Schizophrenie oder Dis hat. Und natürlich geht man dazu in unterschiedliche Gruppen, weil man sich ja über Gleichheiten austauschen möchte. Das ist logisch. Aber eine pDis ist nicht weniger schlimm als eine DIS (und btw: Es gibt übrigens auch Menschen mit DDNOS die aus dem organisierten Verbrechen kommen)!

Und das erfahrene Trauma muss auch nicht die Bohne weniger schlimm sein. Das ist ja das Nächste: Woran machen wir fest welches Trauma, welches Leid jetzt mehr oder weniger schlimm gewesen sein soll? Was nur ein bisschen Missbrauch und was ganz viel Missbrauch war? Das ist doch Käse. Missbrauch ist Missbrauch, genauso wie ein Trauma (also eine seelische Verletzung/Narbe) ein Trauma ist. Es ist so eine individuelle Sache, was in uns wirklich Schaden hinterlässt. Sowas dürfen wir einfach nicht vergleichen.

Welche Art von „Störung“, wie viele und wie lange du Amnesien hast. Wie groß dein System ist. Wie stark du dich dissoziiert fühlst oder what ever hat also NICHTS mit der Schwere deines Traumas oder deines erlebten Leid’s zu tun!

Was eine Rolle spielt ist wie es dir jetzt geht! Schreibt euch das hinter die Ohren. Wer mir nochmal mit was anderem um die Ecke kommt, der bekommt demnächst ein paar auf die Finger ☝👩‍🏫.

Dis – Symptome und Diagnosik

Die große Frage: Wissen Betroffene
überhaupt das sie betroffen sind?


Naja, nein 😅.
In den meisten Fällen dauert es tatsächlich sehr lange bis die ‚Dis‘ festgestellt wird.
Das Durchschnittsalter liegt da bei 30 – 37 Jahre. Viele erfahren es aber auch bis ins hohe Alter oder bis zu ihrem Tod nicht.
Das Gehirn leistet da mit seinen Traumabarrieren ganze Arbeit. Die meisten Betroffenen würden sogar, bis zu den ersten diffusen Erinnerungen, schwören das ihnen niemals etwas Schlimmes passiert ist. Ich würde da heute, trotz Flashbacks und SEHR eindeutigen Symptomen noch meine Hand für ins Feuer legen.

Durchschnittlich, sagt man, laufen Betroffene 7 – 15 Jahre durchs Gesundheitswesen, bis eine entsprechende Diagnose gestellt wird/werden kann.

Lebt man also ein völlig unbeschwertes
Leben bis zur Diagnose?


Nein, natürlich nicht.
Auch wenn die Alltagspersönlichkeit keine Ahnung vom Trauma hat, so ist sie dennoch von den verschiedensten Symptomen betroffen. Wir dürfen nicht vergessen das bei der ‚Dis‘ eine komplexe PTBS Voraussetzung ist und sich diese Symptome auch dauerhaft bemerkbar machen.
Fast alle leiden unter zusätzlichen Erkrankungen wie Depressionen, einer Sozialphobie, Persönlichkeitsstörungen, Süchten, selbstverletzenden Verhalten, somatoformen Beschwerden, aber auch psychotische Erkrankungen sind möglich usw.

In vielen Fällen wandern die Betroffenen also schon lange durch die Kliniken und Therapien und sammeln dadurch einen Haufen Diagnosen an, welche einzeln für sich aber nie das eigentliche „Problem“ wiedergeben.
Viele bekommen auch diverse „Fehl“diagnosen wie Borderline (obwohl viele ‚Dis’patienten auch einige Borderlineanteile haben) oder Schizophrenie, woraufhin sie dann leider auch oft falsch behandelt werden.

Zu welchen Symptomen kommt es noch?


Etwas spezifischer auf eine ‚Dis‘ lassen vll eher folgende Symptome/Auffälligkeiten schließen:

  • diverse Zeitlücken

– z.B bekommst du mit wie ein Gespräch beginnt und dann SCHNIPP, ist der Gesprächspartner weg, das Gespräch vorbei und du hast keine Ahnung was während dieser Unterhaltung überhaupt abgelaufen ist
–> höchstwahrscheinlich hast einfach nicht DU das Gespräch geführt 😌

-oder du findest dich plötzlich an einem ganz anderen Platz in der Wohnung wieder und hast keine Ahnung wie du dahin gekommen bist
–> manche finden sich z.B auch plötzlich an der Supermarktkasse oder in einer ganz fremden Stadt wieder

– oder du schenkst dir eine Tasse Kaffee ein, stellst sie ab, willst nun wieder danach greifen und stellst plötzlich fest das der Inhalt schon ausgetrunken ist

-dir fehlen gar ganze Stunden bis Tage, manchmal sogar Jahre, bei denen du nicht weißt was passiert ist

  • Persönliche Sachen sind wie vom Erdboden verschluckt und tauchen dann an den unmöglichsten Stellen wieder auf

– oder du findest plötzlich Sachen in deinem Schrank, an die du dich gar nicht erinnern kannst, sie gekauft zu haben

  • Stimmen hören

Also: Viele (?🤔) nehmen direkt die Stimmtfarbe der unterschiedlichen Personen wahr, die Stimmfarbe zu hören ist aber kein Muss. Aber du hörst die Stimmen IM Kopf, es sind keine akustischen Halluzinationen!

Letztens habe ich was schönes dazu gefunden, was ich zumindest sehr treffend finde -> Zitat:

»Vor einem Jahr tobte in mir beinahe täglich eine Art innerer Streit, den ich als wirre, widersprüchliche, laute Gedanken – alles „meine“ Gedanken – verstanden habe. Ich konnte nicht schlafen, ich konnte kaum ein Konzert oder einen Film mitverfolgen, weil mein Kopf jede Minute, die ich nicht unter äußerem Stress stand, das Tagesgeschehen oder anstehende Entscheidungen „mit sich selbst“ diskutierte.«

Stimmfarbe naja, ein dauerndes Gequassel in Form der „eigenen Gedanken“ (aber mit anderer Intensität), ja.
Kommentieren, diskutieren oder eisernes Schweigen – Wie das mit Menschen im Außen eben auch so ist 😅.
So eine Kommunikation läuft aber nicht immer über „Stimmen bzw Reden“ ab. Von einer weiß ich z.B das bei ihr die Kommunikation rein über Gefühle verläuft, auch Bilder die im Inneren auftauchen, plötzliche Gelüste oder Wünsche können auch eine Art der Kommunikation sein.
Die Stimmen, die Befehle geben sind bei der ‚Dis‘ bestimmt auch möglich, treffen aber eher auf die Schizophrenie zu, denke ich.

  • Gedanken die sich völlig fremd anfühlen, als wären sie von einem fremden Menschen IN einem selbst (somit teildissoziierte Gedanken) bzw Gedanken die plötzlich in deinem Kopf auftauchen (z.B als Antwort auf etwas von DIR Gedachtes) und du dir denkst: „Hä? Wo kam das denn jetzt her?“

Weitere Symptome

  • Plötzlich Dinge Können oder nicht mehr Können (z.B Autofahren, lesen, usw.) ➡️ ich starre z.B manchmal aufs Handy und weiß einfach nicht was ich damit tun soll. Auf der einen Seite weiß ich zwar noch was das ist, auf der anderen kann ich aber weder die Buchstaben lesen, noch weiß ich, wie ich es bedienen soll.
  • Menschen, die du nicht kennst, sprechen dich an (vll sogar mit einen anderen Namen) oder tun so, als würden sie dich kennen oder du findest fremde Menschen in deinen Kontaktlisten
  • Aussagen vom Umfeld das du dich sehr unterschiedlich verhältst, Gespräche an die du dich nicht, falsch oder völlig verändert erinnert – wie ein anderer Mensch sein, viele Gesichter haben etc.
  • Sich plötzlich wie eine andere Person fühlen oder sich insgesamt ständig fragen WER man (gerade) eigentlich ist
  • Unterschiedliche Handschriften bei sich ferststellen oder auch Notizen auffinden, an die du dich nicht erinnern kannst, sie jemals angefertigt zu haben
  • Dissoziationen (und alles was dazu gehört) selbstverständlich
  • Du könntest das Gefühl haben das du plötzlich Dinge sagst oder tust, die du eigentlich gar nicht tun/sagen willst, sie aber auch nicht steuern kannst (als hätte jemand Besitz von dir ergriffen), z.B hörst du wie etwas aus deinem Mund kommt, was du aber gar nicht sagen wolltest und es sich auch nicht nach dir anhört/anfühlt oder du bewegst dich so, wie DU es eigentlich gar nicht (bewusst) möchtest oder von dir kennst
  • Du reagierst unterschiedlich auf Medikamente – Schmerzmittel können z.B einfach in der „Luft verpuffen“ und das nächste mal voll anschlagen oder du hast an manchen Tagen eine Allergie und an manchen nicht
  • alles was zum Thema Trauma dazugehört

-u.a Flashbacks (visuelle, akustische, auch schmecken, riechen oder fühlen – alles was einen in die traumatische Situation zurückwirft)

-Intrusionen (meine Thera. nannte es viel zutreffender ,,Widerhallerinnerungen“), dass sind Bilder oder Gefühle die sich dir aufdrängen, dich aber nicht so stark zurück in die Traumasituation werfen, wie beim Flashback)

-usw.

Sieht man es den Betroffenen an?


Nochmal nein.
Wer es nicht weiß und wer sich damit auch nicht näher beschäftigt, bekommt nichts mit. Meiner Meinung nach zumindest.
Was mich sehr stört, ist die häufige Aussage bzw. der „Beweis“ das derjenige gar kein Traumabetroffener sein kann, weil er „nicht so wirkt“ . „Der oder die wirkt viel zu abgeklärt, zu konzentriert oder gar nicht verstört genug. „

Herrgott 🤦‍, der Sinn der Dissoziation ist die Abspaltung! Es ist ganz normal wenn jemand da „abgeklärt“ wirkt, weil ER das Trauma entweder nicht erlebt oder keinen Zugang dazu hat. Das müssen nicht immer die kognitiven Erinnerungen betreffen, sondern auch die eigentlich dazu passenden Gefühle können abgespalten werden. Du kannst dich also kognitiv erinnern, hast aber keine passenden Emotionen dazu.

Wenn ich z.B bei meiner Therapeutin etwas problematisches anspreche, dann lache ich meist 😅. Umso schwieriger das Thema, umso mehr lächle ich dabei oder lache sogar laut. Das hat aber nichts damit zu tun, dass ich das alles so witzig finde, sondern das die eigentlich passenden Emotionen für mich einfach nicht zugänglich sind und durch das Lachen entschärfe ich für mich zudem selbst die Situation. Das ist ein automatischer Vorgang und für einen Außenstehenden muss es aber bestimmt wirken, als wäre ich total happy und hätte 0 Probleme, was aber natürlich nicht der Fall ist. Auch das mit dieser Konzentrationssache:
Viele Trauma- und ‚Dis’betroffene sind trotzdem hochfunktional. Nicht weil sie alles so gut wegstecken, sondern weil es der Alltag erfordert nicht das kleine Häufchen Elend in der Ecke zu sein. Wenn ich z.B überlege, wenn ich auf jeden potenziellen Trigger einsteigen würde, der sich bietet (das entscheidest du aber nicht bewusst, solche Vorgänge regelt dein Unterbewusstsein), dann dürfte ich die Wohnung wahrscheinlich gar nicht mehr verlassen und das geht einfach nicht. Dein ‚Unterbewusstsein‘ regelt was geht und was nicht, wann du funktionieren musst und wann nicht.

Gerade deshalb platzen bei vielen auch Symptome heraus, die sich all die Jahre vorher nicht gezeigt haben, sobald ihre Lebensumstände ruhiger werden (allerdings ist auch das Gegenteil der Fall: Wenn es zu stressig wird, kann das System überlasten, was sich durch mehr Amnesien ect. zeigen kann).

Also MERKE❗: Nur weil jemand nicht nach Trauma und Problemen aussieht, heißt das nicht das es ihm gut geht oder er lügt. Solange ich kein Arzt/Therapeut oder anders Fachkundiger bin, halte ich also an mir, mit meinen (Fern)Diagnosen, ob jemand lügt oder nur Aufmerksamkeit will, ja?😌

Nun zu den Diagnosekriterien:

Laut ICD-11 (da das neue Diagnosehandbuch 2022 erscheint, gebe ich das hier an) müssen für die Diagnose einer ‚Dis‘ folgende Punkte erfüllt sein:

  • Jeder Persönlichkeitszustand beinhaltet sein eigenes Muster von Erleben,
    Wahrnehmen, Erfassen und Interagieren mit sich selber, dem eigenen Körper
    und der Umgebung
  • Mindestens zwei unterschiedliche Persönlichkeitszustände übernehmen
    wiederholt die exekutive Kontrolle des Bewusstseins und des Handelns in
    zwischenmenschlichen Interaktionen, im Austausch mit der Umwelt, und in
    verschiedenen Lebensbereichen wie Elternschaft, Arbeit, oder in Reaktion auf
    spezifische Situationen (z.B. als bedrohlich erlebte Situationen).
  • Wechsel zwischen Persönlichkeitszuständen sind verbunden mit Veränderungen von Empfindungen, Wahrnehmung, Affekten, Kognitionen, Erinnerung, motorischer Kontrolle und Verhalten
  • Episoden von Amnesien, die schwergradig sein können (Amnesie ohne Einfluss von Drogen oder Alkohol)

Zudem…

Jeder mit einer ‚Dis‘ hat zudem eine Komplexe-Posttraumatische Belastungsstörung als Grundlage.
Keine K-PTBS, keine ‚Dis‘ (da für die Entstehung ja eine langanhaltende, wiederholte Traumatisierung von Nöten ist)
( –> das eigenständige Diagnosebild der KPTBS (auch DESNOS) gibt es allerdings erst mit dem neuen ICD-11, bisher gibt es offiziell nur die PTBS im Diagnose Handbuch) . Ich hab bei vielen Stellen gelesen, dass eine kPTBS zur Dis zusätzlich hinzukommen kann. Es kann naturlich auch so sein, ich bin ja selbst kein Mediziner. Aber für mich ist das halt unlogisch, da die Dis ja nur durch langanhaltende Traumatisierung entsteht, was logischerweise eine kPTBS zur Folge hat 🤷‍♀️.

Sollte der Verdacht bestehen, kann die ‚Dis‘ über einen diagnostischen Fragebogen, ein Interview-Gespräch (SKID-D) oder/und (was auch zuverlässiger ist) durch Beobachtung in einer Klinik festgestellt werden. Ich finde es wichtig wie man sich selbst fühlt und wahrnimmt. Schwarz auf Weiß bekommt man es am Ende aber eben doch nur vom (vorzugsweise Trauma-) Therapeuten oder Psychiater 🙂. Wenn ihr den Verdacht habt, sprecht es beim Therapeuten/Arzt an und lasst euch nicht „entmutigen“ , wenn ihr nicht direkt eine Diagnose bekommt. Meiner Meinung nach ist es (und sollte es, zur Sicherheit, auch sein) ein längerer Weg, bis so eine schwerwiegende Diagnose gestellt werden kann.

Dissoziative Identitätsstörung

Was ist eine ‚Dis‘?


Eine Dis (Dissoziative Identitätsstörung – früher: Multiple Persönlichkeitsstörung) ist die Aufspaltung des eigenen Selbst in viele unterschiedliche Persönlichkeiten/Persönlichkeitsaspekte.

Im Prinzip hat sie jeder auf eine Art, diese unterschiedlichen Rollen von sich – da gibt es z.B die Rolle der Kollegin/Kollege, die Mutter/Vater, die Freundin/Freund usw. in die man schlüpft – Diese Rollen sind jedoch immer die gleiche Person, man verhält sich eben nur ein bisschen anders auf Arbeit, wie zuhause. Man ist sich aber zu JEDER Zeit sicher, man selbst zu sein.

Bei einer Dis ist es nun so das sich diese Rollen/Aspekte „verselbständigen“ bzw. anfangen sich autonom zu verhalten, d.h eine eigene Persönlichkeit mit eigenem Aussehen, Vorlieben, Abneigungen, Talenten, Erinnerungen usw. entwickeln. Dies ist meistens notwendig, um in einer traumatischen Situation angemessen agieren zu können.

Die Dis ist die „schwerste“ Form (was ich nicht wertend bzgl des Traumas meine, schaut dazu am Besten einmal bei Struktureller Dissoziation vorbei, da erwähne ich das nochmal näher) auf dem Spektrum der traumatischen, dissoziativen Folge“störungen“ (mir gefällt „Innenveränderung“ oder „Innenstrukturveränderung“ allerdings besser als Störung, denn im Prinzip ist ja nichts gestört, das Innenleben hat sich nur entsprechend angepasst).


Wie entsteht die ‚Dis‘ und wie funktioniert
sie?


Als Kind ist unsere Persönlichkeit noch nicht voll ausentwickelt, d.h es existieren noch viele unterschiedliche Aspekte/Selbstanteile von uns, die sich in einem normalen Umfeld irgendwann zu einer ganzen Persönlichkeit zusammenschließen (Babys oder Kleinkinder können z.B bitterlich weinen und im nächsten Moment herzlich lachen -> das sind diese unterschiedlichen Aspekte).

Wird ein Kind nun aber in sehr jungen Jahren, d.h vor dem 6. Lebensjahr (manche sprechen auch vom 8. Lebensalter – also im Endeffekt bevor die einzelnen Anteile zu einer Gesamtpersönlichkeit zusammenwachsen können), sehr schwer und auch langanhaltend traumatisiert (kein Monotrauma) und hat es zudem keine Bezugspersonen an die es sich wenden kann (die ihm Schutz, Gehör und Hilfe bieten), schaltet der Organismus dieses kleinen Lebewesen’s auf einen Überlebensmodus um: Es fängt an (chronisch) zu dissozieren und damit das traumatische abzuspalten.

Die einzelnen Anteile des Kindes können so nicht, wie bei einem „normalen“ Menschen, zusammenwachsen – Das kleine Wesen bleibt zersplittert. Sogenannte Traumaträger entstehen.

Neurologisch gesehen hat jede dieser Personen übrigens ein Inselarenal im Gehirn, d.h für jede Person werden unterschiedliche Gehirnstränge genutzt. Daher ist es auch möglich das die eine Person nichts von den Erinnerungen der anderen Person weiß.

Die erste Spaltung muss zwar vor dem 6.Lebensjahr geschehen sein, weitere Spaltungen können sich danach aber wahrscheinlich jederzeit vollziehen. Also auch im Erwachsenenalter noch, sobald dies erneut erforderlich wird.
Ich versuche das etwas näher zu erklären:


Wie funktioniert das mit den
Persönlichkeiten?


Wir haben zum einen die Innenpersonen die das Kind (später den Teenager/Erwachsenen) in der traumatische Situation schützen, indem sie das Trauma erleben. Diese Personen entstehen für das Trauma und bleiben meist auch in diesem gefangen (sie bleiben oft in dem Alter, in welchem sie das Trauma erlebten, daher kann es z.B Säuglinge oder 4/6/10… jährige Kinder im System geben -> diese können im Laufe der Zeit aber auch altern). Sie sind es auch, die auf bestimmte Trigger u.a mit Flashbacks reagieren.


⬇❗(Triggergefahr)❗⬇ Anfang

*

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Nehmen wir das Beispiel eines kleinen Mädchens
Im normalen Alltag ist sie Person X.
Nun wird sie von ihrem Vater missbraucht – extra dafür entsteht jetzt Person A.
Kommt nun hinzu das sich plötzlich mehrere Männer daran beteiligen, kann Person B entstehen, die dies wiederum erträgt.
Wird dem kleinen Mädchen nun außerdem extra körperlicher Schmerz zugefügt, entsteht Person C, die nun den physischen Schmerz aushält.
Nun kann es zusätzlich die Situation geben, wo all dies gefilmt und ein gewisses „freudiges“ Engagement vom Mädchen gefordert wird und rein dafür entsteht jetzt Person D.
Dann gibt es vll noch eine Person E, die wiederum rein für das Antören erwachsener Männer zuständig ist ( -> Täter fühlen sich dadurch gerne bestätigt und behaupten dann Sachen wie „Die kleine Schl*mpe wollte es doch“). Person F erträgt nun vll den S** mit, tierischen Lebewesen.
Person X wiederum weiß von alledem nichts und kann so ganz normal in die Schule gehen, spielen, mit ihrem Vater Ausflüge machen usw.
Auch weiß höchstwahrscheinlich Person A nichts von dem was Person C passiert und diese weiß nichts von Person E usw.
[Mittlerweile geht man übrigens davon aus das bei der Entstehung einer Dis in über 90% der Fälle schwere rituelle und/oder sexuelle Gewalt vorausging.]

*

*
⬆ ❗(Triggergefahr)❗⬆ Ende


Da das Kind nun aber bereits gespalten bzw. innerlich nie wirklich zusammengewachsen ist, gibt es auch die wirkliche, wahre Urform dessen was das eigentlich Kind einmal hätte werden sollen/können nicht mehr.

Eine sogenannte Gastgeberpersönlichkeit (Host) entsteht (diese können im Verlauf der Zeit aber auch wechseln oder sich aus mehreren Persönlichkeiten gleichzeitig zusammenspeißen, d.h es muss nicht immer nur DIE EINE Gastgeberpersönlichkeit geben und auch diese ist dann nicht die Ursprungspersönlichkeit), welche die meiste Zeit nach außen agiert.

Diese Persönlichkeit(en) hat keinerlei Erinnerungen an die Traumata (das wäre hier also z.B Person X), denn als Traumaträger fungieren die EP – die emotionalen Persönlichkeitsanteile (Person A, B usw.)

Person X ist durch diese Amnesiebarrieren fähig ein „normales“ Leben zu führen. Sie wäre demnach also auch nur eine Persönlichkeit und nicht die wahre Form des Kindes/Menschen.

Der Host kann sich mit dem Körper und dessen (Geburts)Namen identifizieren oder aber kann für sich selbst auch einen ganz eigenen Namen haben.

Zudem können mehrere Alltagspersönlichkeiten (bzw. ANP – Anscheinend normaler Persönlichkeitsanteil) entstehen. Das sind jene, die kein Trauma tragen und meist für wichtige Aufgaben im Alltag zuständig sind, z.B kann es eine Persönlichkeit geben die zur Arbeit oder zur Schule geht. Eine die sich um die sozialen Kontakte kümmert, eine die alles managt, eine die für sexuelle Kontakte zuständig ist usw.
Je nachdem was eben benötigt wird. Aber wie gesagt müssen diese nicht jedes Mal alle einzeln agieren/auftreten, sondern hier ist es zumindest meist ein Wirrwarr aus mehreren Persönlichkeiten gleichzeitig.

Meistens hat die eine Person von der anderen keine Ahnung (es existiert eine Amnesiebarriere), was wiederum zu häufigen Zeitlücken führt.

Wichtig noch dazu: Es besteht durchaus die Möglichkeit das du Erinnerungen an früher hast, z.B an einen Ausflug, ein Gespräch usw, obwohl DU nicht dabei warst. Erinnerungen können hin und her geschoben werden, sodass die Host bzw. nach außen agierende Persönlichkeit durchaus „normal“ im Alltag agieren kann und nicht permanent (auch ihr selbst) auffällt das irgendetwas nicht stimmt (das ist hier jedenfalls an der Tagesordnung).

Die Wechsel


Innenpersonen müssen aber übrigens nicht immer zwangsgebunden Menschen sein. Auch Tiere, Dämonen, Feen, Vampire, sogar Gegenstände sind möglich. Es kommt eben ganz darauf an was in dem Moment des Traumas oder für das alltägliche Überleben am dringendsten gebraucht wird/wurde.


Es ist außerdem nicht immer so das es für das agieren der Persönlichkeiten im Aussen jedesmal einen offensichtlichen ‚Switch‘ (mit Amnesie) geben muss. Viele dieser Anteile wirken aus dem Innen, durch passiven Einfluss d.h die „Host“-Persönlichkeit ist noch da und bekommt auch soweit alles mit, aber aus dem Innen wirkt/unterstützt sie eine der Innenpersonen.
Der Betroffene oder Angehörige merkt das vll daran das derjenige plötzlich etwas anders redet als sonst, eine andere Meinung zu etwas hat (als üblich), anders handelt, etwas kann was er vorher nicht konnte (z.B zeichnen, extrovertiert ist, usw.) oder sich seine Stimmung oder Mimik plötzlich verändert (mehr dazu unter Dis – Symptome).

Grundsätzlich sind solche Innensysteme aber so aufgebaut das sie unter keinen Umständen nach Außen auffallen. Diese Systeme entstehen um das Überleben der Person zu sichern und um Schutz vor dem Außen zu bieten.

Es ist also nicht so, dass Betroffene plötzlich wie ein Gangster-Rapper laufen (statt vorher wie eine zierliche Frau) oder plötzlich mit tiefer Stimme sprechen ect.
Das ist natürlich möglich, aber solange es essentiell wichtig ist im Außen nicht aufzufallen, wird das seltenst so passieren. Für Angehörige ist es also nicht unbedingt so leicht zu erkennen das sie eine Multiple Persönlichkeit vor sich haben, wie es immer in Filmen dargestellt wird.
Schon gar nicht wenn sie nichts davon wissen oder sich nicht damit beschäftigen.


Wie groß kann so ein System werden?


Das ist ganz unterschiedlich.
Es gibt Systeme mit nur 2 Personen, durchschnittlich sind so 20-30 Innenpersonen völlig normal.
Viele (nicht alle!) die aus einem kulturellen Hintergrund kommen (und wo eine gezielte Spaltung durch die Täter stattgefunden hat) beherbergen Anteile im 3stelligen Bereich in sich (ein Kulthintergrund ist da aber nicht zwingend), aber auch bis zu über 1000 sind möglich. Ich glaube das höchste, von dem ich hörte, waren 2000 Persönlichkeiten.

Im Prinzip kommt es da aber ganz individuell auf die einzelne Person an. Personen mit dem gleichen Traumahintergrund können ein ganz unterschiedlich großes System entwickeln. Die Anzahl der Innenperson lässt also nicht auf die Art und Dauer des Traumas schließen.


Gibt es gefährliche Anteile bei der Dis?


Ich würde sagen – Nein, nicht direkt. Das System dient dem Überleben und dem Schutz der traumatisierten Person und nicht dem wilden, lustvollen Morden, wie es oftmals in Filmen dargestellt wird.

Es kann aber Täterloyale-Innenpersonen und Täterintrojekte geben, welche das Weltbild der Täter übernommen haben. Diese sind aber nicht „böse“, sondern haben jahrelang die Traumata übernommen und dadurch Erfahrungen gemacht, die sich ein „normaler“ Verstand nicht einmal vorstellen kann. Wenn du dein Leben lang Schei** erlebt hast, wärst du auch ziemlich angepisst, oder? Und klar kann es Anteile geben, die z.B sexuelle Übergriffe verüben. Möglich ist alles. Aber die Wahrscheinlichkeit ist da relativ gering. Also vor allem das man vor einer multiplen Persönlichkeit Angst haben müsste. Ganz im Gegenteil würde etwas mehr Empathie und Verständnis generell nicht schaden.


Letztendlich…


Ob eine Spaltung im Kindesalter eintritt oder nicht, kommt immer nochmal auf verschiedene individuelle Faktoren an:
Zum einen ob das Kind irgendwelchen Rückhalt erfahren hat oder über eine andere sichere Basis verfügt. Ob und inwieweit die Fähigkeit zum dissoziieren überhaupt ausgebildet ist. Ob das Trauma durch enge (eigentliche) Bezugspersonen ausgelöst wird usw.

Die Schätzungen der Häufigkeit liegt bei ca. 1% der Bevölkerung, die Dunkelziffer scheint aber WEITAUS höher!
D.h in Deutschland sind mehr Menschen davon betroffen (offiziell fast 1 Millionen) als es Obdachlose gibt (und davon haben wir leider schon mehr als genug).

Ist also gar nicht so selten, oder?

Dazu darf man dann noch die Hundertausenden Betroffenen von pDis, Borderline, kPTBS, usw. dazu rechnen, die meist einen ähnlich traumatischen Hintergrund haben.
Man kann nun in etwa vll abschätzen wie hoch unser Problem mit ritueller, se*ueller und psychischer Gewalt gegenüber Kindern eigentlich ist. Es ist ein Phänomen, dass es breitflächig kaum einen zu interessieren scheint…