Bindungstrauma

Wir Menschen sind schon eine interessante Art. Wer schon einmal die Geburt eines Tierbabys gesehen hat, ob live oder im Fernsehen, der weiß wie schnell die Kleinen da schon auf den Beinen sind.

Wir scheinen da jedoch ganz anders – Wenn wir auf die Welt kommen können wir, gelinde gesagt, mal so gar nichts 😄. Geht man rein vom Überleben in der freien Natur aus, müssten unsere Kinder eigentlich noch weit länger im mütterlichen Schoß bleiben.

Was brauchen Babys?

Als Baby sind wir nicht in der Lage allein zu überleben. Das beginnt bei der Nahrungsaufnahme, geht über das Bedürfnis der Nähe, bis hin zur Emotionsregulation.

Wir sind auf unsere Mutter (oder eine andere Bezugsperson) angewiesen, wir kennen ja noch gar nichts. Wir wissen nicht was wir gegen das Gefühl des Hungers tun sollen. Woher sollen wir überhaupt wissen was das für ein Gefühl ist, bis uns jemand hilft dieses Bedürfnis zu stillen und wir dadurch überhaupt erst einen Zusammenhang herstellen können? Wir wissen als Baby nicht was wir tun sollen, wenn wir traurig sind oder Angst haben oder wenn wir uns allein fühlen. Wenn uns das niemand beibringt, woher soll dieses Wissen kommen?

[Friedrich II. wollte übrigens mal durch ein Experiment herausfinden welche Sprache Babys von Natur aus sprechen, also ohne den äußeren Einfluss ihrer Eltern etc. Die Ammen sollten sich nur um die Grundbedürfnisse der (Waisen)Kinder kümmern, d.h essen, wickeln usw. Sie durften sie jedoch nicht hoch nehmen und mit ihnen sprechen. Ergebnis war das ein beträchtlich großer Teil starb, weil er einfach keine Nähe erhielt und der andere Teil, nach 2 Jahren, gerade mal ein Ziegenquäken von sich gab]

Schaut, auch wir Erwachsenen wissen oft nicht wie wir uns gerade fühlen und wenn man nicht weiß, dass man z.B gerade Angst empfindet, kann man auch nichts dagegen tun. Wir können nur reagieren. Der Erwachsene schlägt in diesem Fall dann vllt. wütend um sich, das Baby wiederum schreit.

Nun ist es aber so das wir Erwachsenen noch ganz andere Möglichkeiten zur Verfügung haben uns zu beruhigen. Was jedoch soll ein Baby tun, das weder aufstehen und sagen kann was los ist, noch bisher jemals irgendeine Form der Selbstregulation kennengelernt hat?

Für kleine Kinder ist es daher Überlebenswichtig das sie eine Bezugsperson haben, die sie beruhigt und die ihnen zeigt das sie sicher und beschützt sind. Das alles gar nicht so schlimm ist, dass sie jederzeit geliebt werden und nicht alleine sind. Wenn sie z.B. traurig sind ist es notwendig für sie, anhand von Mimik, Gestik und Körperhaltung zu erkennen, dass alles okay ist. Die Signale der Mutter (o.ä) sind unabdingbar für dieses kleine Wesen.

Und nun halten wir uns noch einmal diese tollen Ratschläge von früher vor Augen, wo es hieß man müsste Kinder z.B. schreien lassen, sodass „sie früh lernen den Eltern nicht auf der Nase herumzutanzen“ . Der Gedankengang dahinter ist der, dass Babys die Eltern nur schikanieren wollen und daher frühzeitig erzogen werden müssten.

Nein, liebe ältere Generation: Babys haben Angst oder sind einsam und brauchen dringend ihre Eltern, die sie beruhigen! Tieren gesteht man kein eigenes Denken zu, aber von Babys erwartet man sie würden heimlich Intrigen gegen die Eltern spinnen…Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen 🤦‍♀️.

Was ist nun also ein Bindungstrauma?

Fehlt den kleinen Menschen also dauerhaft (ein Bindungstrauma entsteht meist durch langanhaltende Geschehnisse) eine Person, die ihnen hilft ihre Emotionen kennenzulernen und zu regulieren, wenn sie z.B oft schreien oder allein gelassen werden (Vernachlässigung) oder wenn die Mutter selbst überfordert ist (z.B durch psychische Erkrankungen) und dem Kind dadurch direkt oder indirekt vermittelt das es zu viel ist (auch Ablehnung, Druck und Entwertung). Sich ihre Unruhe stark auf das Kind überträgt (wodurch sich auch der Stresshormonspiegel des Kindes dauerhaft erhöht) oder das Kind emotionale/körperliche/se*uelle Gewalt durch die Bezugsperson erfährt (Vertrauensbruch) und es sich daher im Dauerangstzustand befindet.

Oder wenn die Bezugspersonen ständig wechseln (also keine konstante, sichere Beziehung vorhanden ist – Verlassenwerden, worunter z.B. auch viel zu frühes wieder arbeiten gehen fällt. Gerade die ersten Jahre sind extrem wichtig und natürlich ist es finaziell kaum mehr möglich (als ein Elternteil) einfach zuhause zu bleiben, aber dann lohnt es sich vllt. 2 oder 3x darüber nachzudenken ob ein Kind wirklich kommen sollte, wenn es direkt nach wenigen Monaten oder 1-2 Jahren in eine Kita muss). Aber auch wenn das Kind sehr früh viel zu viel Verantwortung bekommt, z.B. wenn es sich selbst versorgen muss oder mit den jüngeren Geschwistern allein gelassen wird (auf die es dann aufpassen soll, z.B ein 4jähriges Kind soll auf ein 2jähriges aufpassen) – Dann kann es zu einem sogenannten Bindungstrauma kommen.

Aber dann müsste doch fast jeder so ein Trauma haben?

Haben sie doch auch😅. Erwachsene die sich schnell zu viel fühlen; die ihre Emotionen schlecht regulieren können; die schwer Nähe zulassen oder, im anderen Extrem, krampfhaft Nähe suchen; Verlassensängste; Abhängigkeiten; chronische Schlafstörungen; mangelnde Impulskontrolle; das Gefühl innerer Einsamkeit nicht los werden; chronische Selbstzweifel; psychische Erkrankungen wie: Depressionen; Angst- und Panikstörungen; Persönlichkeitsstörungen (Borderline, Narzissmus, ängstliche-vermeidende, etc.); usw. – All das können Folgen eines Bindungstraumas sein.

Gerade wenn wir in frühen Jahren keine Geborgenheit erfahren und uns stattdessen ständig nach einer möglichen Gefahr umschauen müssen (,,ist die Mutter wieder gereizt?; kommt sie zu mir oder nicht?“ usw.), bleibt unser Gehirn in diesem Dauerstresszustand. Erhöhte Wachsamkeit, Hochsensibilität, vermehrte Schreckhaftigkeit, chronische innere Unruhe u.v.m kann dadurch also entstehen.

Oder stellt euch vor, das Kind bekommt schon in seinen allerersten Tagen vermittelt das es stört, die Mutter (oder Vater) keine Zeit und Lust für es hat, seine Bedürfnisse zu viel und nicht erwünscht sind – Ja was soll sich daraus für ein positives Selbstbild und -wert entwickeln?

Nicht immer muss es also ein exakt bennbares Schocktrauma wie eine Vergew*ltigung o.ä. sein. Das ist auch einer der Gründe, warum viele Menschen nicht verstehen was hinter ihren Problemen steckt. Vieles wird oft gar nicht miteinander in Verbindung gebracht. Oft auch weil man denkt das man doch schießlich ein gutes Zuhause hatte. Und das ist an dieser Stelle daher ganz wichtig zu erwähnen: Eure Eltern (oder auch ihr selbst) müssen keine schlechten Menschen oder die Kindheit per se schlecht gewesen sein! Es geht nicht um das Verurteilen von irgendwem, sondern ums Verstehen was mit einem selbst los is. Vieles wird einfach nur weitergegeben, wie man es selbst erlebt hat (z.B. war es lange völlig normal die Kinder zu schlagen, wenn sie Mist gebaut haben und wurde nicht als schädlich angesehen). Oder gerade auch das mit dem arbeiten: Es gehört heute zum guten Ton das die Mutter bitteschön Kind, Karriere, Haushalt, Aussehen, Freunde und Partner unter einem Hut bekommt. Man schämt sich ja schon fast, wenn man bis zum 3.Lebensjahr des Kindes zuhause bleiben möchte, selbst wenn es die Finanzen zulassen.

Deshalb ist Selbstreflexion so wichtig, um diesen Kreislauf durchbrechen zu können!

Beispiel:

Meine Mutter ist eine Frau die sich sehr für Dinge begeistern kann und sich dann da auch richtig reinhängt. Irgendwann kam sie z.B. mal auf die Idee unseren Garten auf Vordermann zu bringen. Sie steckte Unmengen an Geld, Zeit und Arbeit in diesen Garten und er war wirklich schön. Vogeltränken und Statuen stellte sie auf, ein künstlich angelegter Bach mit kleiner Brücke, ein kleiner Teich, überall Blumen und immer alles top gemäht. Wunderschön einfach.

Das ging so ein-zwei Jahre lang. Danach verwilderte er total und war wirklich nicht mehr schön anzuschauen – Sie hatte einfach keine Lust mehr darauf. All das investierte Geld, die Mühe und die Arbeit spielten keine Rolle mehr.

Nun hat aber natürlich nicht der Garten ein Bindungstrauma davon getragen 😅. Nein, meine Mutter machte das mit allem so. Auch ich bildete da keine Ausnahme.

Meine Oma erzählt oft, wie mich im 1.Jahr nicht einmal jemand ansehen, geschweige denn hochnehmen durfte. Dann verlor sie die Lust, wahrscheinlich weil so ein Kind ja nicht ewig das kleine Püppchen ohne eigenen Willen bleibt. Nach ungefähr einem Jahr war ich überall, nur nicht mehr bei meiner Mutter.

Alles was ich von ihrem Verhalten mir gegenüber in Erinnerung habe ist Ablehnung, Genervtheit, Eifersucht und teilweise sogar richtiger Ekel. Ja, meine Mutter hat sich vor mir geekelt – Kein besonders schönes Gefühl.

Und dieses Muster, das mich Menschen erst total toll finden und nach kurzer Zeit wegstoßen, teilweise mit einem richtigen Hass und Abscheu, dieses Muster begleitet mich bis heute (Reinszenierung). Es ist noch gar nicht so lange her, wo ich diesen Zusammenhang erstmals kapiert habe.

Das mag daran liegen das ich immer wieder dazu neige mich narzisstischen Menschen zuzuwenden, ob nun partnerschaftlich oder auch freundschaftlich. Dennoch fragst du dich ja irgendwann selbst einmal was mit dir nicht stimmt, wenn Menschen immer wieder auf diese Weise Abstand zu dir nehmen.

Wenn du die einzige Konstante in diesen Gleichungen bist, natürlich ist für dich dann irgendwann die einzig logische Schlussfolgerung das DU falsch und das DU das Problem bist. Permanente Selbstzweifel und -abwertung sind da z.B. eine Folge von.

Du bist nicht der Fehler

Das Problem liegt an dem Menschen selbst, an deiner Mutter oder deinem Vater oder wer auch immer deine Bezugsperson(en) dargestellt hat. Aber nicht an dir. Es konnte nie an dir liegen – Du warst ein kleines Kind und jedes Kind ist so richtig, wie es zur Welt kommt. Kein Kind ist falsch.

Ich habe auch viele Fehler gemacht bei meinem Sohn, einfach weil meine Psyche nun mal auch nicht topfit ist, aber mein Sohn war NIE das Problem. Egal wie „nervig“ er manchmal war oder wie gestresst ich mich fühlte, das Problem war immer ich bzw. meine Psyche, nie er. Ich bin nun Erwachsen und es liegt nun bei mir nicht jeden Fehler weiter zu geben, den meine Eltern gemacht haben. Mit ihm zu reden, ihn Dinge zu erklären und ihm das Gefühl zu geben, dass ich ihn so liebe, wie er ist – egal was passiert.

Ich verurteile auch meine Mutter nicht dafür, natürlich ist da oft Wut und Unverständnis, aber verurteilen will ich sie nicht als grundsätzlich böse oder schlecht o.ä.

Wir leben in einer Gesellschaft die mittlerweile nun mal völlig kaputt und traumatisiert ist (kein Wunder nach all diesen Kriegen etc.). Wir machen alle Fehler. Die einen ein paar Schlimmere, die anderen ein paar weniger Gravierende. Das können wir nicht vollständig verhindern. Und die Vergangenheit können wir auch nicht ändern, sehr wohl aber das, was wir im Heute machen.

Wichtig finde ich nur zu verstehen warum wir so sind, wie wir sind und zu lernen, was wir unseren Kindern weitergeben sollten und was nicht. Was sie brauchen und das ist vor allem Liebe und Nähe.

© 2024

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