Letztens besprachen wir die eigentliche Ursache unserer Gefühle bzw. das, was sie uns vermitteln wollen. Der Bereich der Trauer hat jedoch, finde ich, noch einmal seinen ganz eigenen Raum verdient und lässt sich nur schwer in einem Kapitel abarbeiten.
Zunächst erst einmal weil ich die unterschiedlichen Stufen der Trauer gerne extra besprechen möchte, aber auch, weil Trauer oft nur mit dem Verlust nahestehender Wesen in Verbindung gebracht wird. Jedoch können wir über vieles trauern, u.a auch über unsere verlorene Kindheit o.ä. Und gerade da dies ein Traumablog ist, wollen wir das heute einmal ansprechen.
Inhalt
Was Trauer uns mitteilt
Trauer empfinde ich als ein ganz schwerwiegendes, ja schmerzhaftes Gefühl. Wir fühlen uns nicht nur völlig leer, sondern wir können auch nicht mehr schlafen und empfinden sogar körperlichen Schmerz. Ein Schmerz, der uns zu zerreißen droht.
Der Kinderpsychologe John Bowlby setzte den Grundbaustein für die Bindungstheorie. Darin erforschte und stellte er dar, wie wichtig Bindung für uns Menschen ist. Wir sind keine Wesen, welche völlig allein überleben können, sondern sozial und emotional auf unsere Umgebung angewiesen. Auf Dauer verhungern wir in unseren emotionalen Bedürfnissen, wenn wir keine (sicheren) Bindungen eingehen können. Wir streben nach Kontakt, nach Nähe und Liebe. Und wenn wir nun einen engen Kontakt verlieren oder etwas, das unser Bedürfnis nach Verbindung gestillt hat, trifft uns ein tiefer Schmerz.
Trauer zeigt uns den Bruch einer Verbindung an. Sie signalisiert den Schmerz über die verlorene Nähe und etwas, das uns wichtig war. Für unseren Körper bedeutet das höchste Gefahr, da etwas überlebenswichtiges (!) in unserem Leben wegfällt.
Das Trauermodell
Die Schweizer Psychologin Verena Kast entwickelte dieses Modell, angelehnt an den Prozess, welchen Menschen durchleben, die einen geliebten, nahestehenden Menschen verloren haben.
Dieser Prozess zeigt den Beginn und das Ende, inklusive Neuorientierung, der Trauerphase an. Wie lange diese aber dauert, ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Es gibt keine Zeitangabe und auch kein: „Reiß dich mal zusammen, XY kam nach 2 Monaten schon wieder klar. Warum kannst du das nicht?!“ . Ebenfalls laufen die gleich folgenden Phasen nicht automatisch nach einander ab, sondern überschneiden sich sehr oft. Manchmal kommt daher auch die 3. vor der 1. usw. Es können sogar Phasen ausbleiben. Ebenso können sich verschiedene Phasen auch wiederholen, sodass man den Eindruck bekommt, es käme zu Rückschritten. All das ist dennoch mehr als normal!
Im Laufe der Zeit wurde dieses Modell übrigens weiter über- und ausgearbeitet, sodass sich teilweise auch unterschiedliche Phasenbegriffe finden lassen.
1.Leugnen
Wir erhalten die Nachricht, dass etwas schreckliches passiert ist. Etwas das uns wichtig ist, ein geliebter Mensch, unsere Gesundheit oder die heile Vergangenheit ist fort. Jemand ist gestorben, wir erhalten die Nachricht unter einer schweren Krankheit zu leiden oder das wir schweren Missbra*ch ausgesetzt waren. Die sonst so heile Welt bricht zusammen. Nichts ist mehr wie vorher. Als Schutzmaßnahme wendet unsere Psyche nun die Verleugnung an. Was nicht da ist, was niemals geschehen ist, kann uns auch nicht belasten.
Typische Sätze sind hier z.B: „Das stimmt nicht! – Das hast du dir nur ausgedacht! – Ich bilde mir das nur ein. – Das ist nie passiert. – usw.“
Die Phase der Verleugnung kann wenige Minuten, Stunden oder sogar Wochen bis Monate oder länger betragen. Wichtig ist hier zu verstehen, dass die Psyche des Menschen so reagiert und alles verleugnet, weil die Konfrontation mit der Realität sonst zu viel wäre. Ihr könnt, als Angehörige, demjenigen die Hand reichen, alltägliches abnehmen und auch immer wieder, sehr sachte, versuchen auf die Realität anzustupsen. Lasst ihn nicht alleine, das stärkt die Resilienz. Aber ihr könnt ihn nicht dazu bringen, sich eher, als seine Psyche bereit ist, damit auseinanderzusetzen. Das macht der Körper und die Psyche irgendwann, wenn sie dazu bereit sind, von ganz allein. Unterstützt denjenigen aber auch nicht in seiner Scheinrealität!
2.Wut
Sobald das Ereignis realisiert wurde, fahren die Emotionen Achterbahn. Wut stellt sich über den Verlust ein. Vor allem sucht die Wut hier einen Verantwortlichen, auf den sie sich richten kann. Der Verursacher eines Unfalls z.B, der den geliebten Menschen nahm. Oder die Krankheit oder deren Ursache. Oder auf das, was z.B zu dem traumatischen Ereignis führte.
Wut ist wichtig, da sie uns Kraft gibt. Sie kanalisiert unsere Energie und lässt uns aufstehen und den Tag durchhalten. Sie lässt uns oft nach ausgleichender Gerechtigkeit suchen und bringt uns damit ins Handeln. Das ist in der Praxis nicht immer gut, da es auch dazu führen kann, eigentlich unschuldigen Menschen z.B Vorwürfe etc. zu machen.
Wut sollte dennoch ausgelebt und nicht unterdrückt werden. Sonst kann sie sich nicht integrieren und wächst (oft versteckt) weiter. Du darfst dich über die Ursache deines Leides aufregen. Tue das ruhig einmal so richtig. Läster über die Krankheit oder die verursachenden Menschen oder Umstände ab. Ich mag generelles Lästern nicht sehr, aber hier darfst du deiner Wut diesen Freiraum einmal einräumen. Vllt hilft es dir auch Beleidigungen oder Schimpfwörter, die im Inneren auftauchen, niederzuschreiben. Schlage auf einen Boxsack ein und/oder schreie ganz laut. Räume deiner Wut einen Raum frei, wo sie sich, ohne anderen (unschuldigen) zu schaden, frei entfalten kann.
3.Verhandeln und Suchen
Wir realisieren, dass wir dem bereits Geschehenen nicht ausweichen können. Diese Phase ist meist von dem Versuch geprägt, trotz alle dem noch einen Funken Kontrolle erhalten zu können. Nichts ist für uns schlimmer, als ohnmächtig zu sein. Oft suchen wir hier die Schuld bei uns. Im Falle der Krankheit z.B, versuchen wir jetzt gesünder zu leben. „Wenn ich das und jenes tue, kann ich vllt noch X Monate/Jahre leben und ZY mitbekommen.“
Im Sinne einer traumatischen Vergangenheit suchen wir hier die Punkte, wo wir vllt eine Mitverantwortung trugen. Etwas, das uns das Gefühl gibt, es in einer ähnlichen Situation besser machen zu können. Oder auch, wo z.B die Bezugsperson (/der Täter) doch nicht so extrem schlimm war, denn schließlich hatten wir ja eine Mitschuld. Ohne uns (unsere Verhalten, etc.), hätte er nicht so schlimme Dinge getan. Vllt Denken wir auch es ist alles gar nicht so schlimm, WIR übertreiben nur. Oder im Bereich des verloren gegangenen, suchen wir oft nach etwas, dass uns (heute hier) ähnlich erscheint. Die (schöne) Vergangenheit quasi wiederaufleben lässt.
Diese Phase kann von unglaublich viel Schmerz geprägt sein. Sie zeigt uns unsere Suche nach dem Schönen auf. Nach dem Heilen, das verloren ging. Egal ob wir die Schuld bei uns suchen oder versuchen Vergangenes wiederaufleben zu lassen: Letztendlich versuchen wir hier, ebenfalls, wieder Kontrolle zurück zu erlangen. Diesmal versuchen wir dies aber nicht über das Außen (wie bei der Wut), sondern über uns.
4.Realisierung
Oft wird diese Phase auch die ‚Depressive‘ genannt. Mir persönlich gefällt aber „Realisierung“ besser. Denn nichts anderes geschieht hier. Wir realisieren vollends, was geschehen ist. Wir realisieren, dass weder wir etwas an der Situation ändern können, noch ein anderer. Vergangen und Geschehen ist, was ist. Daher ist diese Phase meist von schlimmen depressiven Episoden geprägt.
Das Klarwerden über unsere Handlungsunfähigkeit, über unsere Ohnmacht gegenüber dem Leben, stürzt uns oftmals in ein tiefes Loch. Auch das ist normal. Vieles können wir steuern und kontrollieren, aber eben nicht alles. Egal wie wir uns ernähren, benehmen, handeln oder nicht handeln. Das Leben ist eine Komponente, welche außerhalb unseres Handlungsspektrums liegt. Daher meinte ich auch einmal, dass negative Dinge eben manchmal einfach geschehen. Wir müssen das nicht positiv oder gut finden. Wir dürfen darüber wütend sein und weinen, dennoch bleibt uns letztendlich nicht mehr als die Akzeptanz dessen übrig.
In dieser Phase können wir uns allein, einsam, schwach und hilflos fühlen. Wir glauben keinerlei Kontrolle mehr zu haben, was uns die Hoffnung nimmt. Ich glaube in dieser Phase laufen wir daher auch die größte Gefahr „stecken“ zu bleiben. Vllt hilft zu verstehen wo man die Kontrolle hat, denn die hat man in sehr vielen Momenten, und wo nicht. Das es Dinge gibt, die wir beeinflussen können und welche, über die wir keine Macht haben.
5.Akzeptanz
In dieser Phase erreichen wir die Akzeptanz. Wir akzeptieren den Verlust eines geliebten Menschen oder unseren eigenen (baldigen) T*d. Wir akzeptieren unser Trauma und was uns widerfahren ist. Akzeptanz bedeutet nicht automatisch Integration, ist aber der beste Schritt dahin.
Akzeptanz kann dazu führen, dass wir auch die positiven Dinge unseres Lebens oder der verloren gegangenen Beziehung wieder schätzen lernen. Vllt ziehen wir uns aber auch in dieser Phase zurück. Isolation ist nicht immer nur ein negatives Zeichen, auch wenn Angehörigen dies oftmals Sorgen bereitet. Wir brauchen diese Zeit um all die vergangenen Emotionen und Erlebnisse verarbeiten zu können. Um uns selbst wieder zu stabilisieren. Und allmählich empfinden wir vllt sogar wieder Glück und Freude.
Auf die Kindheit bezogen – Se*ualität
Ich habe festgestellt, dass ich mich aktuell in der Trauerphase um meine Kindheit befinde. Dinge die so nie oder falsch stattfanden.
Ich trauere um mein 1. Mal. Nicht nur um das verlorengegangene, unbewusste erste Mal, sondern auch um das bewusste 1. Mal. Auch das war nicht von Liebe oder Zärtlichkeit geprägt. Sondern fand mit einem viel zu alten Mann statt (ich war 14 und er 27). Wir waren in keiner Beziehung und es gab auch keinen Respekt mir gegenüber. Im Gegenteil wurde sich später mit den, ebenfalls erwachsenen, Kumpels darüber lustig gemacht. Ich hatte meine ganze Schul- bzw. Jugendzeit nie einen Freund, in den ich verliebt war und er in mich. So wie andere. Nur Se*ualpartner. Und darüber trauere ich heute. Ich denke oft an mein verloren gegangenes 1. Mal. Und ich wünsche es mir heute, so wie es damals hätte sein sollen.
Ich trauere über das gegenseitige Verliebtsein unter Teenagern, das ich nie erleben durfte. Das gemeinsame Ausgehen. Händchenhalten oder sich verliebte Briefe schreiben. Und über die ersten verschüchterten, intimen Versuche, die ich nie hatte. Meine ersten bewussten Erfahrungen mit Männern (und leider nicht Jungs), waren geprägt vom Rein-und-Raus-und-jetzt-mach-dich-weg.
Es ist wichtig, dass wir darum trauern, finde ich. Das jeder von uns darum trauern darf. Lange Zeit gab ich mir die Schuld: „Kein Wunder, wenn man sich so nuttig anzieht. Oder direkt zu jedem ins Bett steigt.“ Aber wisst ihr, ich bin nicht Schuld, dass erwachsene Männer ein Kind benutzt haben. Und ja, das ist man in diesem Alter. Egal wie viel Hüfte man hat.
Auf die Kindheit bezogen – Eltern
Und ich trauere um die Eltern, die ich brauchte, aber nie hatte. Meine Eltern haben selbst ihre Traumata und es liegt mir fern, sie als von Geburt an schlechte Menschen einzustufen. Grundlegend fern. Denn es gab auch schöne Momente. Es gab tolle Momente mit meinem Vater und sogar mit meiner Mutter. Und diese werde ich auch versuchen mir im Herzen zu behalten, egal was sonst war. Das Negative löscht nicht das Positive aus. Das Positive hebt aber auch das Negative nicht auf. Beides darf bestehen.
Ich trauere um die emotionale Nähe, die mir fehlte. Das in den Arm genommen werden, wenn ich Schmerzen hatte. Oder die liebevollen Umarmungen, das fehlende: „Ich habe dich lieb. Egal was kommt.“ . Die fehlende seelische Unterstützung bei einer Trennung oder wenn ich mich allein fühlte. Ich trauere darum, dass sie meinem Kind keine Großeltern waren, wie er es verdient hätte. Die Oma, die ihm Süßigkeiten unterjubelt, worüber ich mich furchtbar aufgeregt hätte. Oder der Opa, der ihm das Schnitzen zeigt. Ich trauere um meine Geschwister, die ich nicht aufwachsen sehen konnte. Um meine eigenen Kinder, die ich vllt noch hätte aufwachsen sehen können, aber nie tun werde. Um meine eigene Familie, die ich vllt gehabt hätte.
Ich glaube es ist wichtig, dass wir auch über unsere eigene Vergangenheit trauern können. Und wahrscheinlich befinden wir uns alle, mehr oder weniger, in dieser Trauerzeit. Jeder in seiner Phase. Und so schlimm sich diese Phasen auch anfühlen, sehen wir es doch „einfach“ so: Diese Phasen kennzeichnen Punkte, auf dem Weg unserer Heilung…
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