Schwarz-Weiß-Denken bedeutet, in Extremen zu denken: „Entweder du bist für oder gegen mich!“ – „Entweder etwas ist gut oder böse“ – „Entweder er/sie liebt mich oder findet mich furchtbar“ – „Entweder alle mögen mich oder ich bin schlecht“ – „Du machst das IMMER“ – „Mir geht es jetzt so schlecht, daher wird es mir niemals besser gehen können“ – usw.
Oft wird Schwarz-Weiß-Denken auf Borderline bezogen, jedoch glaube ich, dass es auf die meisten Traumabetroffenen zutrifft. Und da zähle ich nicht nur jene hinzu, die eine Vergew*ltigungen, Krieg, Naturkatastrophen, einen Überfall o.Ä. erlebt haben. Ich sehe den Großteil unserer Gesellschaft als traumatisiert an und ich finde auch, dass der Großteil unserer Gesellschaft sehr schwarz-weiß denkt. Nicht umsonst ist die Spaltung soweit vorangeschritten, dass es überall nur noch kleiner Bubbles gibt, die sich gegenseitig bekriegen: „Entweder du bist für oder gegen meine Sache“ – Es wird nicht mehr zugehört, weil kaum einer mehr eine Grauzone kennt. Es gibt nur noch Entweder – Oder. Entweder ist es gut oder schlecht…
Aber so tickt das Leben eben nicht.
Nun meine Gedanken dazu:
Wenn ich etwas als Entweder Oder einstufe, dann weiß ich was es ist, oder? Wenn ich eine z.B politische Meinung habe, wovon man ja normalerweise überzeugt ist, sonst hätte man diese Meinung ja nicht. Und ich lerne jemand mit einer komplett konträren Meinung kennen, dann stellt sich schnell das Denken ein: „Ich liege richtig und derjenige falsch. Meine Meinung ist aus dem und dem Grund richtig (sprich: Ich bin auf der guten Seite) und die des anderen ist aus dem und dem Grund falsch (er ist der Böse)“ – Ich kann also einschätzen, ob ich auf Verteidigung/Angriff gehen „muss“ oder nicht.
Wenn ich die Meinung des anderen jedoch erstmal stehen lasse und die Grauzone suche, also: „In welchen Punkten hat er Recht und ich nicht? Und wo gibt Überschneidungen?“ (ohne dabei die eigene Meinung komplett zu verwerfen), dann kann ich den weiteren Verlauf kaum bis gar nicht einschätzen. Ich weiß nicht wirklich, was auf mich zukommt.
Schwarz-Weiß-Denken ist für mich also nichts per se Schlechtes, sondern ein natürlicher Schutzmechanismus.
Oder ein anderes Beispiel:
„Mich mochte jemand nicht und war deswegen unfreundlich zu mir. Ich bin einfach nichts wert. Niemand mag mich, weil ich einfach Scheiße bin.“
Kennt ihr das? Also ich stelle regelmäßig meine ganze Existenz wegen sowas in Frage. Weniger als früher, aber immer noch mehr als nötig.
Ja, jemand mochte einen nicht. Gilt das aber für alle restlichen 7,8 Milliarden Menschen auf der Erde? Es werden also nicht alle sein, die mich nicht mögen. Denn das kann ich gar nicht wissen, trotzdem ist und bleibt es Rotz, wenn mich der überwiegende Teil oder sogar alle (es gilt dringend die Umgebung zu wechseln!) aus meiner Umgebung ablehnen (ich darf also sehr wohl so fühlen, auch wenn es nicht ALLE sind). Aber für ALLE Menschen kann ich auf jeden Fall nicht wirklich sprechen, oder? Welche Gedankenlesekraft, Übermenschlichkeit und Glaskugel bräuchte ich dazu? Eine ziemlich fähige. Sagt sowas jemand, in solchen Momenten, wo ich mich eklig fühle, aber zu mir, WILL ich das nicht hören oder wissen.
Denn eben jene Erkenntnis: „Ey, es liegt gar nicht immer an mir. Ich bin unglaublich verschieden, in ganz vielen Bereichen, wie andere Menschen. Und ich fühle mich verdammt einsam deshalb. Aber die Schuld dafür tragen weder alle anderen (die meinen Wert nicht zu schätzen wissen, mich ablehnen, Vorurteile haben, o.Ä.), noch ich. Auch ich bin nicht für alles verantwortlich.“ half mir nicht wirklich aus meinem Loch.
Im Gegenteil: Zu verstehen, dass man gar nicht alles beeinflussen kann, hat bei mir sogar Sui*idgedanken ausgelöst. Denn: ICH HABE ES NICHT MEHR UNTER KONTROLLE. Wohin, wenn nicht ich an allem Schuld bin? Denn wenn ich nicht mehr an allem Schuld bin, dann kann ich auch nicht alles beeinflussen. Ich bin meiner Umwelt ausgeliefert. Plötzlich bin ich weder meiner Verantwortung für mich und der Umwelt entbunden (denn wenn, wären ja nur alle anderen Schuld – das würde es einfach, auf die andere Art, machen), noch habe ich sie für alles und jeden. Und das nimmt mir das Gefühl von Sicherheit. Solange ich verantwortlich bin, kann ich auch handeln … Zwar nicht sehr erfolgreich, eben weil ich nicht alles beeinflussen kann, aber ich habe zumindest die Illusion von Handlungsfähigkeit. Besser als nichts, oder?
Vllt. gehört das jedoch zur Heilung und generell zum Leben dazu: Kontrolle abgeben. Für jemand, der allerdings nie Kontrolle haben durfte, der immer fremdbestimmt wurde, gilt das gleich einem Todesurteil. Bei dem Gefühl Kontrolle behalten zu wollen, geht es jedoch nicht automatisch darum andere kontrollieren zu wollen, sie bewusst (und böswillig) für die eigenen Zwecke auszunutzen (das gilt auch für den Bereich Narzissmus). Sondern darum, Boden unter den Füßen zu haben. Kontrolle (und damit auch Schwarz-Weiß-Denken) ist der Versuch, Sicherheit zu bekommen.
Entgültige Sicherheit wird es allerdings womöglich nicht in diesem Leben geben (paradoxerweise eine Erkenntnis, die mir hilft, Kontrolle ein wenig besser abgeben zu können). Aber wir können versuchen uns gesunde Alternativen für ein Sicherheitsgefühl aufzubauen. Unter anderem ist das in sozialen Interaktionen z.B. Selbstreflexion und daraus entstehende, erfolgreiche Kommunikation. Grauzonen bedeuten nicht den Tod, sondern Leben. Sie sind es nämlich, die das Leben ausmachen. Wandlung und Bewegung, statt Stagnation (und Stagnation ist es, die uns im Leid gefangen hält) ….
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